Gewichtheber mit Feingefühl

Yun Sung-bin gewinnt im Skeleton Südkoreas zweites Gold bei den Heimspielen

Als Yun Sung-bin dem Ziel näher kam, wurde es immer ruhiger. Es war, als würden sich seine Landsleute noch einmal sammeln wollen, kurz bevor sie explodieren würden. Dann fuhr der 23-jährige Skeletonpilot nach 50,02 Sekunden durchs Ziel, die »1« leuchtete an der Anzeigetafel auf, und es wurde endlich laut. Ohrenbetäubend laut. Gab es eine Goldmedaille, die die Gastgeber schon Monate vor den Olympischen Spielen fest eingeplant hatten, dann die im Skeleton der Männer. Und Yun enttäuschte seine Landsleute nicht. Vier Mal fuhr er Bestzeit im Olympic Sliding Centre von Pyeongchang, drei Mal Bahnrekord, bei keiner einzigen Zwischenzeit, in keinem einzigen Lauf lag je ein anderer Fahrer vor ihm. So etwas nennt man Dominanz.

Seine Fans sangen danach minutenlang seinen Namen. Die übervolle Tribüne am Ziel wurde selbst nach der Siegehrung nicht leerer. Alle wollten sehen, ob sich ihr Held beim Marathon vorbei an den Journalisten noch mal umdrehen würde. »Die vielen Zuschauer haben mir geholfen«, entgegnete er der naheliegenden Vermutung, der Druck müsse immens auf ihm gelastet haben. »Es gab doch keinen Grund, Druck zu verspüren. Das ist meine Heimbahn, also fühle ich mich heimisch hier. Ich musste nur machen, was ich schon sehr oft gemacht hatte: sauber runterfahren.«

Erst vor sechs Jahren hatte der Mann aus Seoul mit dem Skeleton begonnen. Bei einem Probetraining für das Olympiaprogramm sollen die Trainer anfangs gar nicht so beeindruckt von ihm gewesen sein. Da aber nicht viele kamen, durfte er bleiben, und nach wenigen Monaten wurde er schon nationaler Meister. »Hätte ich gar kein Talent gehabt, würde ich heute kaum Olympiasieger sein«, scherzte Yun.

Als er zum ersten Mal die steilen Bahnen in Nordamerika befuhr, bekam er Angst. »Jedes Mal, wenn ich an die Bande krachte, tat das höllisch weh. Zeitweise wollte ich da gar nicht mehr runterfahren«, erinnerte er sich. »Zum Glück konnte ich das irgendwann ablegen, aber es stimmt schon, dass meine Karriere am Anfang psychologisch anstrengender war, jetzt vor den Spielen tat das harte Training nur noch körperlich weh.«

Sein Vorsprung vor dem Russen Nikita Tregubow betrug nach vier Läufen irrwitzige 1,63 Sekunden. Er nutzte den Vorteil, viel häufiger auf der Olympiabahn trainieren zu dürfen als ausländische Piloten. Doch auch andernorts hätte er wohl gewonnen. »Er hat eine Gewichtheberfigur, aber trotzdem auch das Feingefühl, um die beste Linie zu finden. So ist er am Start wahnsinnig stark und fährt dann sehr konstant die Bahn hinunter«, fasste der deutsche Bundestrainer Jens Müller Yuns Vorzüge zusammen. Schon bevor seine drei Fahrer mit mehr als drei Sekunden Rückstand die Plätze sieben bis neun belegt hatten, war ihm klar, dass Sun nicht zu schlagen sein würde. »Er ist derzeit der beste Mann - auf jeder Bahn!«, so Müller.

Das sagte man im vergangenen Jahrzehnt immer über Martins Dukurs. Der Lette war fünf Mal Weltmeister, sogar acht Mal gewann er den Gesamtweltcup. In Serie. Olympiasieger aber wurde er nie. 2010 in Vancouver verlor er im letzten Lauf Gold an den Kanadier Jon Montgomery, 2014 wurde es wieder Silber hinter dem Lokalmatador Alexander Tretjakow. Nun war Yun schneller. Der Heimvorteil ist speziell im Skeleton ein entscheidender Faktor. Dukurs verlor durch einen Fehler im letzten Lauf sogar noch die Medaille und fiel auf Platz vier zurück. »Das tut mir so leid, denn er ist eine Legende. Als er abrutschte, musste ich fast weinen«, sagte Axel Jungk, der Siebenter geworden war.

Dukurs wollte seine Niederlage diesmal nicht auf den Heimvorteil schieben und lobte Yun ausgiebig: »Er hat alles: Er rennt schnell, fährt gut, und sein Material funktioniert auch«, sagte der Lette, der noch nicht weiß, ob er weitermachen wird. Ein Ende der Karriere sei denkbar, gestand er ein. Es bliebe eine unvollendete, selbst wenn ihm die Goldmedaille von 2014 doch noch zugesprochen wird. Tretjakow hatte sie in einem der IOC-Dopingurteile aberkannt bekommen, später hob der Sportgerichtshof CAS die Entscheidung wegen Mangel an Beweisen auf. Eine IOC-Reaktion steht noch aus. »Das liegt schon so lange zurück. Selbst wenn ich doch noch Gold bekäme, wäre es doch anders, als wenn ich sie gleich gewonnen hätte«, sagte Dukurs.

In Yun Sung-bin sehen alle seinen Nachfolger, Dukurs selbst auch. Nur der Südkoreaner ziert sich noch. »Ich wollte Martins immer kopieren. Er ist mein Idol, und ich kann noch viel von ihm lernen. Nichts liegt mir also ferner, als zu sagen, dass ich jetzt seinen Platz einnehme«, sagte Yun. Und dennoch: Diesen Platz an der Spitze will er nicht so schnell wieder hergeben: »Pyeongchang war erst der Anfang. Ich denke schon an Peking 2022.«

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