»Er ließ sich nicht bremsen«

Michael Wolffs Sensationsbuch über Donald Trump ist nun auf Deutsch erschienen

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Allein der Umstand, dass ein Buch mit dieser Blickrichtung über Donald Trump erscheint, ist beispiellos. Auch frühere Präsidenten sind unters Mikroskop gelegt worden. Doch der Blick galt da vorrangig politischen Entscheidungen des Amtsinhabers und ihren Folgen. Mit Michael Wolffs »Feuer und Zorn« liegt ein anderes Kaliber vor: ein sensationssattes Sittengemälde, das Politik und vor allem die Verfasstheit eines Politikers erhellt, der sich nicht als Politiker sieht - und deswegen 2016 gewann.

Michael Wolff (Jg. 1953), gut vernetzter und mäßig beleumdeter Reporter mit Neigung zu breitem Pinsel, wird gefürchtet wie gemieden. Umso bemerkenswerter der Fakt, dass Trump bisher nicht seine Lieblingswaffe zog, das Klage-Schwert. Das spricht für das Buch und dessen ehrrührige Vorwürfe an den Neuen im Amt. Wolffs Enthüllung offenbart einen intellektuell armseligen und moralisch nackten, gleichwohl wirkmächtigen Präsidenten in der von Grabenkämpfen markierten Schlangengrube Weißes Haus. Die Aufregung sollte trotzdem nicht zur Annahme verleiten, Trumps Ende stehe akut bevor.

Wolff räumt ein, dass sein Report Widersprüchliches vereint. Natur der Sache. Der Verfasser zeichnet nach über 200 Interviews mit Trump und dessen Beratern das Porträt eines ebenso lächerlichen wie verabscheuungswürdigen Präsidenten. Einige O-Töne aus diversen Kapiteln des unterhaltsamen Werks, das sieben namhafte Übersetzer und der Verlag flott für den deutschen Markt aufbereitet haben: »Ich war das Mäuschen« - zwanzig Mal suchte Wolff das Weiße Haus auf. »Anfangs habe ich mich wie ein zielstrebiger Reporter mit festem Plan verhalten. Aber das gibt man schnell auf, wenn man merkt, dass einen jeder ignoriert. Man wird allmählich Teil des Mobiliars, und die Mitarbeiter bemühten sich irgendwann darum, mich bei Laune zu halten. Sie fragten mich, auf wen ich warte. Oft habe ich Steve Bannon genannt, von dem man wusste, dass er sich nie an Verabredungen hielt. Die Mitarbeiter sagten dann meist: Oh Gott, Sie Ärmster. Wollen Sie nicht vielleicht später wiederkommen?« Er sei ständiger Lauscher gewesen, »das sprichwörtliche ›Mäuschen‹, der sich weder irgendwelchen Regeln unterworfen noch Absprachen darüber getroffen hatte, was er schreiben dürfe und was nicht«.

»Kausales Denken lag ihm fern« - selbst Trumps »sechster Sinn für die Öffentlichkeit« habe ihn keinen Sieg erwarten lassen. Noch am Wahltag glaubte keiner in seinem Team, »außer Crazy Steve«, daran. Es befasste sich folglich auch niemand ernsthaft mit Fragen, die daraus resultieren könnten. Trump selbst hielt seinen Wahlkampf für beschissen, den von Hillary Clinton für brillant. »Wer in Trumps Wahlkampfmaschine mitflog, bekam oft Anschisse von epischen Ausmaßen zu hören: Donald Trump war umgeben von Idioten.«

Bannon, unüberlesbar ein Hauptinformant Wolffs, lernte Trump 2010 kennen. Doch bis 2016, als er dessen Wahlkampagne übernahm, hatte er »keine zehn Minuten mit Trump unter vier Augen gesprochen«. Mit Ausnahme vielleicht des Baugeschäfts gab es kein Thema, von dem der nunmehr mächtigste Mann der Welt etwas verstand. Aber: »Er war eine starke Persönlichkeit. Er konnte einem was vormachen.« Irgendwie hat Trump die Wahl gewonnen, »doch sein Gehirn schien außerstande, die Aufgaben zu erfüllen, die sein neuer Job erforderte. Er konnte weder planen noch organisieren, weder zuhören noch sich auf etwas Neues konzentrieren … Kausales Denken lag ihm fern, er sah einfach keine Verbindung von Ursache und Wirkung.«

Wolff weiter: »Je unwahrscheinlicher ein Präsidentschaftskandidat ist, desto unwahrscheinlicher und oft auch unerfahrener sind seine Berater.« Etwa Stephen Miller, 32. Er gilt als der Redenschreiber. Dabei sei er erwiesenermaßen unfähig, »vollständige Sätze zu formulieren. Außerdem hieß es, er sei politischer Berater. Es gab aber kein Politikfeld, in dem er sich tatsächlich auskannte. Es hieß, er sei der Hausintellektuelle. Er war aber ein militanter Nichtleser.«

Wiederholt stellt sich beim Lesen dieses Buches die Frage, warum ein so unreflektierter und anerkennungssüchtiger Präsident von so vielen gewählt wurde. Sozialökonomische Probleme hin, Abstiegsängste weißer Männer mit Rachebedürfnis an Obamas erster schwarzer Präsidentschaft her. Trumps Wahlsieg erinnert daran, wie sehr es darauf ankommt, Hintermänner zu haben, die die Kufen lenken. Bannons Rausschmiss, auch so liest sich Wolffs Buch, war ein Versuch, der Präsidentschaft des Multimillionärs doch noch Normalität einzuhauchen.

Dass ein Mann wie Trump Präsident wurde, bezeugt auf seine Weise den Abstieg der USA. Rom brennt, aber Nero schlägt die Laute. Trumps Posaune ist von Erich Mielkes berühmten Satz »Ich liebe - ich liebe doch alle - alle Menschen« gar nicht weit entfernt. Sein Dienstdebüt bestritt er im CIA-Hauptquartier, bei einem der Dienste, die er im Wahlkampf beschimpfte. Nun kam er mit Kreide - und Mielke: »Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, ich liebe Sie, ich respektiere Sie, es gibt niemanden, den ich mehr respektiere als Sie.«

Großwirtschaft und Finanzwelt erwärmen sich seit der Wahl mehr und mehr für Trump, registriert Wolff. »Ein wirtschaftsliberales Weißes Haus und das Versprechen einer Steuerreform überwogen die Furcht vor nervigen Tweets und anderen Formen des trumpschen Chaos; zudem hatten die Aktienkurse seit dem 9. November, dem Tag nach der Wahl, nicht aufgehört zu steigen.« Und: »Die neue Rechte mochte Trump gewählt haben, am meisten Freude aber machten ihm die Führungskräfte der traditionelleren Topunternehmen.«

»Diese Russland-Sache« - für Trump »ein großes Nichts«. Wolff zitiert die Warnung eines Republikaners an den neuen Präsidenten, welche Feinde er sich keinesfalls machen dürfe: »Wenn ihr die Nachrichtendienste fertigmacht, finden sie einen Weg, sich zu rächen, dann habt ihr zwei oder drei Jahre mit den Russland-Ermittlungen zu tun, und jeden Tag gibt es neue Indiskretionen.«

Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey sei »typisch Trump« gewesen. »Er glaubt, er kann das FBI feuern«, so Bannon. Wolff: Die Vorstellung einer förmlichen Absprache und Verschwörung »wurde im Weißen Haus von allen als unwahrscheinlich betrachtet … Doch niemand wollte sich für die Nebenabsprachen, selbständigen Unternehmungen und Nichtigkeiten verbürgen, für einen geübten Sonderermittler die ganz normalen Hinterlassenschaften von Trump-Anhängern. Und alle glaubten, wenn die Ermittlung zu der langen Reihe von Trumps Geldgeschäften kam, würde sie mit ziemlicher Sicherheit bei der Familie Trump und dem Weißen Haus landen.«

Im Juni 2016 treffen sich Trumps Sohn Don Jr., Schwiegersohn Jared Kushner und der damalige Wahlkampfleiter Paul Manafort im Trump Tower »mit einer filmreifen Gruppe zwielichtiger Gestalten, die ihnen nachteilige Informationen über Hillary Clinton in Aussicht gestellt hatten«. Mit von der Partie waren ein einflussreicher Anwalt aus Moskau, mehrere Mitarbeiter des aserbaidschanisch-russischen Oligarchen Aras Agalarow und ein russischer Regierungslobbyist in Washington. »Die Russen boten eine Fülle von negativen oder sogar belastenden Informationen über die Kontrahentin an.« Bannon geißelt den Dilettantismus, mit denen Manafort und Kushner mit den Russen sprachen. »Sie hatten keine Anwälte dabei. Selbst wenn man es nicht als Hochverrat, unpatriotisch oder üblen Scheiß betrachtete, und ich finde nun mal, all das trifft zu, hätte man sofort das FBI verständigen müssen. Selbst wenn man das nicht will, wenn man völlig unmoralisch ist und auf diese Informationen scharf ist, zieht man die Sache in einem Holiday Inn in Manchester, New Hampshire, durch, mit eigenen Anwälten, die sich mit diesen Leuten treffen und alles durchgehen.«

»Er ließ sich nicht bremsen« - vor der Veröffentlichung der amerikanischen Originalausgabe im Januar sah sich Wolff einer juristischen Drohung Trumps gegenüber, die Publikation zu verhindern. Der Reporter und sein Verleger veranlasste das nur, den Veröffentlichungstermin vorzuziehen. Wolff: »Ein weiteres Beispiel dafür, wie Trump die Kontrolle über sich verlor und ausrastete. Ich weiß, dass alle im Weißen Haus versuchten, ihn von seinem Blockadeversuch abzubringen. Doch er ließ sich nicht bremsen. Das einzige, was er erreichte, war, die Aufmerksamkeit für mein Buch zu vergrößern.«

Michael Wolff: Feuer und Zorn. Im Weißen Haus von Donald Trump. A. d. Engl. v. Isabel Bogdan, Thomas Gunkel, Dirk van Gunsteren, Gregor Hens, Werner Schmitz, Jan Schönherr, Nikolaus Stingl. Rowohlt, 480 S., geb., 19,95 €.

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