Der spröde Charme der sozialistischen Musterstadt

Eisenhüttenstadt bildet die Kulisse für den neuen Kinofilm »Warum« - die Handlung führt zurück in die frühen 1950er Jahre

  • Jeanette Bederke
  • Lesedauer: 3 Min.

Drei riesige Scheinwerfer stehen vor dem Rathaus Eisenhüttenstadt. Die Einwohner bringt so etwas längst nicht mehr aus der Ruhe. »Dreharbeiten«, sagt eine Passantin fast schon entschuldigend, während sie geduldig darauf wartet, dass der Produktionsassistent sie durchlässt.

Kurz darauf tritt Schauspieler Robert Stadlober verfolgt von Kameras aus dem Gebäude. Dann ist die Szene im Kasten. Stadlober trägt einen altmodisch wirkenden Blouson und weite Bundfaltenhosen. »50er Jahre«, erklärt er lächelnd. Kurz vor Weihnachten habe er das Drehbuch zu dem Kinofilm »Warum« gelesen. »Bereits nach fünf Seiten habe ich gewusst, dass ich da mitmachen will, weil ich das sehr subtil erzählte Thema so wichtig finde und Regisseur Bernd Böhlich sehr schätze«, sagt Stadlober. In dem Film geht es um eine junge Kommunistin, gespielt von Alexandra Maria Lara, die in den 1930er Jahren vor den Nazis in die Sowjetunion floh, dort wegen angeblicher Spionage verhaftet und in ein Arbeitslager gesteckt wurde. Anfang der 1950er Jahre kehrt sie zurück, um in der DDR ein neues Leben zu beginnen. Das darf sie auf Geheiß der SED in Stalinstadt, wie Eisenhüttenstadt damals hieß. Es war die erste, am Reißbrett geplante sozialistische Stadt auf deutschem Boden. Die junge Frau bekommt die großzügige Wohnung und gut bezahlte Arbeit nur, wenn sie ihre Vergangenheit nicht preis gibt und notfalls lügt. Mit diesem Verschweigen der Wahrheit habe das Scheitern der DDR schon damals begonnen, ist Regisseur Böhlich überzeugt.

»Eisenhüttenstadt hat mit seinen restaurierten Gebäuden wie dem Friedrich-Wolf-Theater oder dem Krankenhaus sowie ganzen Straßenzügen aus jener Zeit noch heute den historischen Charme von damals. Das zu sehen, war für mich sehr inspirierend«, schwärmt Böhlich. Die Wohnkomplexe I bis III waren zu Beginn der 1950er Jahre nach einem Entwurf des Architekten Kurt W. Leuchte in einem Mix aus sowjetischem Vorbild und Bauhaustradition entstanden.

Kurz vor der Wende hatte Böhlich erstmals vom Schicksal der Exilkommunisten erfahren und später jahrelang an dem Drehbuch für »Warum« gearbeitet. Der Streifen habe für ihn jetzt viele Bezüge in die Gegenwart, sagt er. »Die aktuelle Krise der SPD hat auch viel damit zu tun, dass die Partei ihren Wählern die Wahrheit nicht sagt«, glaubt Böhlich. Eisenhüttenstadt scheint tatsächlich »der perfekte Drehort« für die Geschichte zu sein. Im Rathaus gibt es ein Wandmosaik mit Friedenstaube und Arbeitern. Jetzt fühlt man sich etwa 65 Jahre zurückversetzt. Mitarbeiter der »SED-Kreisleitung« eilen die Treppen auf und ab oder warten vor dem großen Sitzungssaal. Unter ihnen Diana Conrad, im wahren Leben Bauingenieurin und jetzt eine von rund 90 Komparsen. »Die Dreharbeiten sind total spannend. Da selbst mal dabei zu sein, macht Riesenspaß«, sagt die 54-Jährige. Sie ist stolz, dass ihre Heimatstadt erneut im Filmfokus steht. Denn 2017 war hier für den Kinofilm »Das schweigende Klassenzimmer«, gedreht worden. Dieser Streifen, der ebenfalls in den frühen Jahren der DDR spielt, hat am 20. Februar auf der Berlinale Premiere. »In Brandenburg sind wir schon ein kleines Hollywood«, sagt Conrad lächelnd. Das sieht Bürgermeister Frank Balzer (SPD) auch so. Seine Großeltern bauten die Stadt und das Eisenhüttenkombinat einst mit auf. dpa

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