An wem der Aufschwung vorbei geht

Menschen mit Behinderung haben in Sachsen geringere Jobchancen

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Dresden. Männer und Frauen mit Behinderung haben trotz des Aufschwungs am Arbeitsmarkt und drohenden Fachkräftemangels haben auch in Sachsen weiter schlechtere Jobchancen als Menschen ohne Handicap. Während die Zahl der Arbeitslosen von 2010 bis 2017 um mehr als 112 800 oder 44,6 Prozent auf fast 140 400 zurückging, war der Rückgang bei den Schwerbehinderten mit 23,6 Prozent nur etwa halb so hoch, teilte die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Chemnitz mit.

Menschen mit Behinderung hätten nicht im gleichen Umfang vom guten Arbeitsmarkt profitiert wie jene ohne Handicap. »Das kann an Vorurteilen, Ängsten und Bedenken in der Gesellschaft liegen«, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion, Klaus Peter Hansen. Den Angaben zufolge waren im vergangenen Januar 8685 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet. Das waren fast 600 weniger als zwölf Monate zuvor. In Sachsen leben rund 163 000 schwerbehinderte Menschen im arbeitsfähigen Alter.

Der Arbeitsagentur zufolge sind arbeitslose Menschen mit Behinderung jedoch vergleichsweise gut ausgebildet. Fast 80 Prozent von ihnen haben einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung. Sie könnten in fast allen Branchen arbeiten und suchten sich oft Tätigkeiten im Objektschutz, in Büro- oder Sekretariatsberufen, in der Gebäudetechnik, als Fahrzeugführer oder im Verkauf, Haus- und Familienpflege.

Zudem gibt es in Sachsen nach Angaben des Sozialministeriums 60 Werkstätten mit etwa 15 500 Plätzen für Menschen mit Behinderungen und etwa 1450 Plätze in der Berufsbildung. Im vergangenen Jahr wurden elf Bauvorhaben mit rund 6,6 Millionen Euro gefördert. Für 2018 sind bisher rund 2,9 Millionen Euro für zehn Werkstätten bewilligt worden. »Werkstätten sind auch künftig ein wichtiger Baustein für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben«, sagte Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU).

Die Ausbildung in den Werkstätten soll künftig landesweit einheitlich in Module gegliedert werden. Diese sind von der Diakonie zusammen mit den Kammern entwickelt worden und an reguläre Berufe angelehnt. Das soll die Chancen Behinderter verbessern. Denn der Übergang von Werkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt ist relativ selten und ist dem Ministerium zufolge 2016 in nur 18 Fällen gelungen.

Die Arbeit in den Werkstätten sei vielfältiger geworden, erklärte die Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, Jacqueline Drechsler. Die Arbeitsfelder reichten von Verpackung und Montage über Küche, Service, Hauswirtschaft und Metallverarbeitung bis hin zu Garten- und Landschaftsbau. Es gebe Werkstätten, die in mehr als 15 verschiedenen Bereichen eine Beschäftigung anböten. Sie seien Partner mittelständischer Unternehmen. Mit der Automobilbranche und Herstellern von Werkzeugen und Kleinelektronik gebe es Kooperationen. Die Werkstätten seien in der Regel gut ausgelastet, sagte Drechsler. In einer gebe es Wartelisten, in einer anderen seien noch Plätze frei. Auffällig sei: »Während die Zahl der Beschäftigten mit geistiger oder körperlicher Behinderung zurückgeht, steigt der Anteil der chronisch psychisch Erkrankten.«

»Die Einstellung der Betroffenen zu Werkstätten ist geteilt«, sagte der Behindertenbeauftragte der Regierung, Stephan Pöhler. Manche Eltern wünschten sich, dass ihr Kind in einer Werkstatt arbeitet, weil es dann abgesichert sei. »Andere wieder wollen, dass es selbstbestimmt am Arbeitsleben teilnimmt.« Pöhler ist gegen eine Ausweitung der Werkstätten. »Wir sollten die Anstrengungen verstärken, um mehr Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.«

Der Arbeitsagentur zufolge gab es 2015 in Sachsen insgesamt 8258 Betriebe, die laut Gesetz verpflichtet waren, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Von mehr als 41 784 Pflichtarbeitsplätzen waren jedoch nur rund 36 300 besetzt. Damit lag die Beschäftigtenquote von schwerbehinderten Menschen in Sachsen bei 4,1 Prozent, 0,1 Prozentpunkte unter dem Niveau des Vorjahres. Bundesweit lag diese Quote bei 4,7 Prozent. Einzig die Unternehmen in Dresden erfüllten ihre Beschäftigungspflicht. dpa/nd

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