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Fragiler Friedensprozess in Myanmar

Zwei weitere bewaffnete Gruppen treten dem Waffenstillstandsabkommen bei

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Geschossen und teilweise sogar durch die Luftwaffe bombardiert, Menschen zur Flucht getrieben, drangsaliert und vergewaltigt wird in Myanmar noch immer. Das Hauptkrisengebiet 2017, der nordwestliche Teilstaat Rakhine mit schlagzeilenlastiger und bildgewaltiger Massenflucht von mehr als 650 000 Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya seit Ende August mag zuletzt etwas zur Ruhe gekommen sein. Dennoch gibt es nach wie vor genügend andere Konfliktzonen, wo es regelmäßig zu Kämpfen kommt und Menschen zuhauf in größter Angst ihre Heimatorte verlassen und als Binnenflüchtlinge Heimatvertriebene im eigenen Land bleiben - in der Regel jenseits der Beachtung westlicher Medien.

Jeder kleine Fortschritt ist da ein Hoffnungsschimmer, an den sich große Erwartungen knüpfen. Das ist auch der Fall mit der relativ überraschenden Entscheidung von New Mon State Party (NMSP) und Lahu Democratic Union (LDU), nun ihre Unterschrift unter das nationale Waffenstillstandsabkommen zu setzen. Der feierliche Akt fand am Dienstag vergangene Woche in der Hauptstadt Naypyidaw statt.

Es war Ex-Präsident Thein Sein, Chef der semi-zivilen Übergangsadministration nach fast fünf Jahrzehnten Militärdiktatur in wechselnder personeller Prägung, der im Oktober 2015 mit dem nationalen Waffenstillstandsabkommen einen fragilen gesamtnationalen Friedensprozess mit den bewaffneten Organisationen der ethnischen Minderheiten eingeleitet hat. Acht Rebellengruppen waren die Erstunterzeichner, andere Formationen konnten sich zu diesem Schritt zunächst nicht durchringen. Schon vor gut zwei Jahren hatte sich dabei auch eine erneute Spaltung des wichtigen Dachverbandes United Nationalities Federal Council (UNFC) zugetragen. Die Pa-o National Liberation Organisation und die Chin National Front wurden aus der Allianz ausgeschlossen, weil sie zu den Unterzeichnern gehörte. Im Jahr zuvor hatte bereits die Karen National Union den Austritt erklärt, 2016 kehrten die Myanmar National Democratic Alliance Army und Ta’ang National Liberation Army dem Bündnis den Rücken, das einst von zwölf Gruppen gebildet worden war.

Nach dem Abgang von Wa National Organisation, Shan State Progress Party und vor allem der Kachin Independence Organisation war zuletzt ohnehin nur noch eine Viererallianz übrig geblieben. Der Vorsitzende des Dachverbandes UNFC Nai Hong Sar, selbst ein Vertreter der New Mon State Party, hatte eigentlich vor, alle gemeinsam zeitnah in das Abkommen zu führen. Wegen divergierender Meinungen im Bündnis wären dazu noch einige Beratungen nötig gewesen. Denen kamen die beiden Neuunterzeichner mit ihrem Alleingang zuvor, möglicherweise in Sorge vor neuen Angriffen des Tatmadaw, der myanmarischen Armee. So mutmaßte es jedenfalls das kritisch-analytische Nachrichtenportal Irrawaddy, das über gute Kontakte in die Rebellengruppen verfügt.

De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi warnte allerdings vor allzu großen Erwartungen. Die Unterschriften unter das Abkommen markierten nicht etwa das Ende, sondern gerade erst den Anfang des Friedensprozesses, sagte sie. Wohl wissend, wie groß das Misstrauen zwischen Rebellen auf der einen und Armee auf der anderen Seite ist. Beide sind speziell in den Grenzgebieten zu China seit Jahrzehnten gleichermaßen in den Handel mit Drogen, illegal geschlagenen Tropenhölzern und anderen Produkten verwickelt. Mitunter gibt es sogar heimliche Kooperationen, während man sich nur wenige Kilometer entfernt heftig bekämpft. Gerade die Menschen im Einflussbereich der Kachin Independence Organisation (KIO), die Teile des Kachin State und des besonders großen und ethnisch vielfältigen Shan State kontrolliert, haben dies immer wieder zu spüren bekommen - bis hin zu Luftschlägen, die der Tatmadaw wiederholt gegen deren Stützpunkte sowie benachbarte Ortschaften durchführte.

Immerhin trafen sich ein Armeegeneral und ein hochrangiger KIO-Vertreter Anfang Februar auf Vermittlung von China zu Gesprächen, ist die Gewalt in allerjüngster Zeit etwas eingedämmt. Dennoch ist gerade diese Region und die dort dominierende Rebellengruppe ein Beispiel, wie fragil der Friedensprozess ist. Immerhin 17 Jahre hatten beide Seiten seit 1994 eine bilaterale Waffenstillstandsvereinbarung eingehalten, die aber 2011 mit neuen Kämpfen zerbrach.

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