Ollis Olympia

Oliver Kern findet Ruhe am See

Irgendwann muss auch ein sportbegeisterter Olympiareporter mal ausbrechen. Zehn Tage Eishallen, Schanze, Halfpipe - ich wollte raus aus der Olympiablase. Mal was Ruhiges erleben, ohne Medaillen, ohne Rekorde.

Da kann Park Il Hee helfen. Die Touristenführerin begleitet mich einen Hügel hinauf zum hölzernen, bunt bemalten Gyeongpodae. Der Pavillon steht schon mehr als 500 Jahre hier, wie sie sagt. Er sei sogar noch knapp 200 Jahre älter, wurde aber versetzt. Der Grund wird schnell klar: Hier hat man einen wunderbaren Ausblick auf den Gyeongpo Lake, den Spiegelsee. Genau das, was ich gesucht habe.

Frau Park lebt seit 20 Jahren hier, sie folgte einst widerwillig aus dem Süden des Landes ihrem Mann, als der hier im ärmeren Nordosten eine neue Arbeit gefunden hatte. Seitdem habe sie sich verliebt in die Region - und in diesen Ort, auch wenn zwei neue Strandhotels am Ostmeer und der Olympiapark den Ausblick etwas verschandeln. Ihr Mann wollte noch sechs Mal Job und Wohnort wechseln, erzählt sie, doch sie wollte nicht mehr weg. Jetzt ist er Rentner, und die 60-Jährige verdient das Geld.

Im Pavillon sind Gedichte aufgehängt, das von König Sukjong aus dem 17.Jahrhundert, der das Haus auch verzieren ließ, hängt selbstredend ganz oben. Wer alles genau betrachten will, muss die Schuhe ausziehen, auch wenn es kalt wird an den Füßen. Der See ist halb zugefroren. »Politiker kommen oft her und setzen sich zwischen die Ecke des Mondes und die der Elfen«, sagt Frau Park. »Das soll das Herz reinigen.« Koreanische Politiker haben das oft nötig, wie die Korruptionsskandale der vergangenen Jahre zeigten. Nachts aber ist der Pavillon Pilgerort junger Liebender, denn dann, so heißt es, könne man hier den Mond fünf Mal sehen: den echten und seine Reflexionen im See, im Ostmeer, im Weinglas und in den Augen der Geliebten.

Meine geliebte Frau wartet daheim darauf, dass sich der Olympiatourist endlich mal wieder um die Kinder kümmert. Ein Mond fällt also schon mal weg. Die anderen vier auch. Es dämmert, und ich muss los zum Skispringen. Die olympische Blase ruft.

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