Progressive Heimatgefühle

Den Heimatbegriff den Rechten zu überlassen, dürfen sich Linke nicht erlauben, meint Roberto J. De Lapuente

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Da haben uns Linken die Konservativen aber was vor die Nase gesetzt: ein Heimatministerium. Einen Heimatminister außerdem, der tief aus dem kleinbürgerlichen Milieu der süddeutschen Provinz stammt. Dort, wo die Schwarzen, also die Christsozialen, noch Heimat mit tiefen Schlucken aus dem Maßkrug schlürfen. Bislang haben diese Leute nur von Leitkultur salbadert, meist in irgendeinem Dialekt, der nicht angedacht war, als man im Zuge der Reichsgründung festhielt, dass das hannoveranerische Hochdeutsch zur Leithochsprache standardisiert werden sollte. Nun haben sie allerdings ein Hochamt über die Deutungshoheit der Heimat. Und das kommt nicht von ungefähr.

Ein bisschen simpel gesagt: Dass diese Herrschaften jetzt glauben, sie hätten die Deutungsgewalt über das Heimatliche, hat auch mit den Linken zu tun. Die haben den Begriff brachliegen lassen. Über Jahre, ja Jahrzehnte. Das ist freilich nicht nur Desinteresse gewesen. Natürlich hatte man Interesse daran, wenn die Heimat wieder mal betont wurde. Linke wollten wissen, wer denn rednerisch etwaiger Heimatidyllen frönt, denn man interpretierte eines ganz besonders in solche Ansichten hinein: Rückständigkeit. Ja, vielleicht sogar Chauvinismus. Und ein bisschen Nazi-Geist.

Die Heimat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sie als Rechtfertigung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeführt wurde, in der schwarzen Republik weiter als Kampfbegriff missbraucht. Willy Brandt hatte seine Heimat im Stich gelassen, Marlene Dietrich sie verraten. Schon vorher waren die Sozialdemokraten als heimatlose Gesellen verunglimpft worden, weil man fürchtete, sie würden keinen Krieg gutheißen. Dass die deutsche Linke da kein besonderes Faible für eine eigene Deutung dieses Begriffes hatte, lag auf der Hand. Der linke Geist war ohnehin polyglott, kosmopolitisch und mondän.

Der Linke ist seinem Selbstverständnis nach auf der gesamten Erde daheim. Die Heimat schränkt diesen generellen Anspruch bloß ein. Sie setzt Grenzen. Und eben diese Grenzen sind es ja, die stets für Ungerechtigkeit und Unfrieden sorgten. Diese Grenzenlosigkeit hat eine linke Heimatdefinition vereitelt. Weil beide Pole nicht zusammengingen, weil Heimat von rechts mit Nationalstaat in Deckungsgleichheit gebracht wurde, hat man sie begrifflich ignoriert. Und nun hat man es mit einem Ministerium zu tun, das sich der Deutung von Heimat verschreiben will.

Dabei schließen sich doch die Heimat und ein mondänes Verständnis nicht aus. Die Welt ist eine Summe von Heimaten. Von Gegenden, in denen sich die, die dort geboren wurden oder später dazukamen, im Alltag bewegen. Eine linke Definition darf freilich nicht dem konservativen Idyll auf dem Leim gehen, wonach Heimat der Ort ist, wo man sich glücklich fühlt. Es ist der Ort, an dem man die globale Gesamtheit auf eine Übersichtlichkeit schrumpft, die man im progressiven Kampf benötigt. Heimat ist nicht, wo alle eine Sprache sprechen, sondern wo alle sich auf einen Konsens zwecks Zusammenlebens einigen müssen.

Gerade mit dem Anschwellen neoliberalen Einflusses und mit der Trivialisierung neoliberaler Theoreme im Alltag wäre eine linke Definition notwendiger denn je gewesen. Denn in der neoliberalen Vorstellung ist der Mensch ein heimatloses, d. h. ein nicht sesshaftes Wesen, ruhelos und ohne Basis. Ein Entwurzelter, dem man Flexibilität und Mobilität geradezu aufdrängen muss. Orts- und Stadtwechsel: Das sei doch menschliche Normalität. Die meisten Menschen empfinden das allerdings nicht so; sie erkranken an dieser Ruhelosigkeit, wollen einen sicheren Hafen. Heimat kann also auch was anderes als Nationalstaat sein: nämlich Sozialstaat, der Garant dafür, sich als Mensch nicht plumpen Marktmechanismen unterordnen zu müssen.

Den Heimatbegriff den Rechten zu überlassen, ihn als etwas Abgeranztes wie etwas zu Vernachlässigendes abzuschieben: Das darf man sich im linken Lager nicht erlauben. Die Heimat ist mehr als das, was die Konservativen und Rechten thematisch aus ihr machen: Sie ist eine menschliche Befindlichkeit, eine menschliche Bedingung, die sich auf das Raum-Zeit-Empfinden gründet. Es kommt darauf an, den Begriff richtig aufzuladen. Heimat als Sicherheit und nicht als kultureller Ausgrenzer: Das wäre eine Gegenposition. Aber jeden Linken als rechten Grenzgänger anzusehen, weil er Heimatliches im Mund führt, das ist eine Sackgasse.

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