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Keine Erfolgsgeschichte

Heinz-J. Bontrup kritisiert, dass das deutsche Kartellgesetz den Wettbewerb nicht genügend schützt

  • homas Trares
  • Lesedauer: 4 Min.
In diesem Jahr wird das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 60 Jahre alt. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard soll es einmal als das »Grundgesetz der Marktwirtschaft« bezeichnet haben. Wie sieht Ihr Fazit heute aus? Ist das GWB tatsächlich eine Erfolgsgeschichte?

Eher nicht. Ein Wettbewerbsgesetz sollte den Wettbewerb schützen. Dies hat das GWB in den letzten 60 Jahren nie vermocht. Auch wenn Erhard es völlig überzogen als das »Grundgesetz der Marktwirtschaft« stilisiert hat. Denn dann hätte es - im Nachhinein betrachtet - viele »Verfassungsverletzungen« gegeben. Die wichtigsten Märkte sind heute alle hochgradig vermachtete Märkte. Fast überall gibt es nur noch wenige Anbieter, deren Marktanteile so groß sind, dass man schon allein deshalb von einer den Wettbewerb pervertierenden Marktmacht ausgehen muss. Und wer einmal Marktmacht realisiert hat, der bringt sie auch missbräuchlich zum Einsatz. Übrigens nicht nur in der Wirtschaft selbst, sondern auch gegenüber der Politik.

Heinz-J. Bontrup

1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft. Es sollte dafür sorgen, dass die vielen Kartelle in der bundesdeutschen Wirtschaft weniger Macht erhielten und neue sich nicht so leicht bilden konnten. Für eine Erfolgsgeschichte hält Heinz-J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler an der Westfälischen Hochschule, das Gesetz, dessen 60. Geburtstag am Donnerstag in Bonn gefeiert wird, aber nicht. Mit dem 65-jährigen Wirtschaftswissenschaftler und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sprach Thomas Trares.

Im vergangenen Jahr hat das Bundeskartellamt Ordnungsstrafen von insgesamt 60 Millionen Euro verhängt. Abgeschlossen wurden Verfahren gegen Hersteller von Indus- triebatterien, Autozulieferer und Hafenschlepper. Was halten Sie von dieser Bilanz?

Die Ordnungsstrafen sind lächerlich niedrig. Die betroffenen Unternehmen haben sie in der Regel längst eingepreist, sodass sie von uns allen als Kunden über die Preise, die die Unternehmen in Rechnung stellen, bezahlt werden. Und bis heute ist auch noch nicht die steuerrechtliche Abzugsfähigkeit von Bußgeldern geklärt. Werden sie als Betriebsausgaben anerkannt, mindern sie den Gewinn und damit die Steuerzahlungen.

Bereits 1949 hatte der damalige Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium, Paul Josten, einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt, den sogenannten Josten-Entwurf. Dennoch wurde das GWB erst neun Jahre später eingeführt. Warum ist diese Verzögerung heute noch von Bedeutung?

Schon damals haben die Wirtschaftsverbände, allen voran der BDI, ein scharfes Kartellrecht abgelehnt. Deshalb hat es auch von 1949 bis 1958 gedauert, bis das GWB im Bundestag - völlig verwässert im Vergleich zum durchaus passablen »Josten-Entwurf« - verabschiedet werden konnte. Der damalige BDI-Präsident Fritz Berg schrieb tatsächlich an Erhard, dass Kartelle zur Erhaltung und Förderung einer gesunden Marktwirtschaft unerlässlich seien. Ob der heutige BDI-Präsident Dieter Kempf das auch noch so sieht, müsste man ihn einmal fragen.

Das GWB umfasste zunächst das Kartellverbot und die Missbrauchsaufsicht für marktbeherrschende Unternehmen. 1973 kam dann die Fusionskontrolle hinzu. Ihrer Meinung nach zu spät. Warum?

Viel zu spät. Die Missbrauchsaufsicht ist bis heute noch an viel zu hohe Marktmachtschwellen geknüpft, und eine vorbeugende Fusionskontrolle hätte es von Anfang an geben müssen. Auch hier sind die Verbotshürden viel zu hoch angesetzt. So kann heute beispielsweise ein Unternehmen einen Marktanteil von bis zu 40 Prozent haben, ohne dass dies als Marktmacht interpretiert wird. Geradezu ein schlechter Witz.

Mittlerweile gab es neun Gesetzesnovellen, die jüngste 2017. Hat sich dadurch etwas grundlegend verbessert, oder sehen Sie noch immer bedeutende Schwachstellen im Wettbewerbsbeschränkungsgesetz?

Eine wirksame Verbesserung war sicher die »Kronzeugenregelung« zur Aufdeckung von Kartellen, die in der Wirtschaft Milliardenschäden verursachen. Dadurch konnten bisher ein paar spektakuläre Kartelle aufgedeckt werden. Unter den vielen Schwachstellen würde ich bis heute ein fehlendes Instrumentarium gegen Nachfragemachtmissbrauch benennen. Dadurch werden täglich kleine und mittelgroße Zulieferbetriebe von ihren nachfragemächtigen Unternehmen aufs Schlimmste ausgebeutet - und nicht selten sogar in die Insolvenz getrieben.

Heute dominieren internationale Großkonzerne wie Google, Facebook und Amazon die digitale Welt. Autohersteller und Banken treiben die Politik vor sich her. Ist das Kartellamt dann überhaupt noch die richtige Adresse zur Bekämpfung wirtschaftlicher Macht?

Natürlich nicht. Vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass die großen Konzerne international unterwegs sind. Die Möglichkeiten des deutschen Kartellamtes in Bonn sind dann schnell ausgereizt. Und auf europäischer Ebene gibt es nicht einmal ein Kartellamt, sondern nur eine Wettbewerbskommissarin und eine völlig unzureichende EU-Fusionskontrollverordnung.

Wenn Sie der Wirtschaftsminister der künftigen Bundesregierung wären, welche erste Änderung würden Sie am GWB vornehmen?

Das Gesetz würde ich sofort in der Sanktion dem Strafgesetzbuch unterwerfen und nicht wie heute nur einem Bußgeldverfahren. Wer gegen die Regelung verstößt, müsste dann in schweren Fällen nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit Haftstrafen rechnen. Einen schweren Verstoß sehe ich dabei bei allen missbräuchlichen Kartellbildungen als erfüllt an.

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