Revolten und Mob

Die ifa-Galerie untersucht echten und staatlich inszenierten Volkszorn

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
In Berlin, dem einstigen Revoluzzer- und aktuellen Mecker-Mekka, findet eine ganze Veranstaltungsserie zum Thema Aufstände statt - und nur etwa drei Dutzend Gestalten pilgern hin. Und das selbst, obwohl die Diskursveranstaltung zur Ausstellung in der ifa-Galerie in einem früher besetzten Haus, dem ACUD, über die Bühne ging. Das sagt einiges aus über die Rebellionsmüdigkeit in einer Zeit wachsender sozialer Spannungen.

Eine Spur zur Erklärung dieses Widerspruchs findet man in der Ausstellung im Installations-Projekt der in Kuwait geborenen und in Jordanien lehrenden Künstlerin und Kuratorin Ala Younes. Anhand einer kleinen Analyse von Revolten im Arabischen Raum, beginnend mit den Hungerrevolten 1977 in Ägypten und bis in aktuelle Ausläufer nach dem »Arabischen Frühling« 2011 reichend, diagnostiziert sie im modernen Kapitalismus eine »Privatisierung von Stress« und eine aufs Individuum verlagerte »Eindämmung des Zorns«. Um Revolten auszulösen, sollte man, so legt dieser Zusammenhang nahe, in den Krankenstationen und den Wartezimmern von Psychologen mobilisieren. Das potenziell revoltierende Subjekt ist derzeit pathologisiert und sediert. Wer erweckt es?

Die Ausstellung und die Diskursreihe »Riots. Allmähliches Aufkündigen der Zukunft« untersucht aber nicht nur die Verhinderungsmechanismen von Revolten. Sie ist auch weit mehr als nur eine historisierende Feier des Exzesses, der die gegenwärtigen Zustände hinwegfegen will. Natürlich sind Begeisterungsspuren fürs kollektive Aufbegehren auszumachen. Dilip Gaonkar und Liam Mayes stellen etwa eine kontext-freie Kompilation von Videos über gewalttätige Auseinandersetzungen zusammen, die vor allem folgende Erkenntnisse hervorbringt: Revolten gibt es auf allen Kontinenten. Sie können bei Tageslicht wie in der Dunkelheit stattfinden. Gegenüber stehen sich - meist vermummte - Zivilisten, die Gefäße mit brennenden Flüssigkeiten auf mit Helm und Schild bewehrte Polizisten werfen. Das ist die visuelle Ebene, die beim Betrachten die Adrenalinproduktion anregt und die Herzfrequenz beschleunigt. Über die jeweiligen Ursachen und Begleitumstände erfährt man aber wenig.

Vielschichtiger ist die Installation aus 64 etwa handgroßen Figuren des indischen Künstlers Jitish Kallat. Man sieht diese Figuren Steine werfen und Knüppel schwingen. Zuweilen ist das Ziel der Aggressionen nicht auszumachen; die Figur steckt in einer heroischen Pose. Dann aber wieder sieht man die Opfer: zusammengekrümmt auf dem Boden, sich mühsam gegenüber einem wilden Mob zu schützen versuchend. Kallat fängt beide Seiten des Aufruhrs ein: den revoltierenden Moment und den repressiven.

Auf diesen zweiten Moment, die Mobilisierung eines Mobs durch staatliche Autoritäten, wies Chandraguptha Thenuwara, ein Künstler aus Sri Lanka, in seinem Statement auf der zweitägigen Begleitkonferenz im ACUD hin. Er berichtete vom sogenannten »Schwarzen Juli« 1983, einem von Polizei und Stadtverwaltung orchestrierten Pogrom an der tamilischen Bevölkerung. »Ich habe selbst erlebt, wie Busse angehalten und Menschen aufgefordert wurden, das Wort ›pen‹ auszusprechen. Tamilen artikulieren den Laut ›p‹ anders als Singalesen. Sie wurden so identifiziert und aus den Bussen weggeführt«, erzählte er. So begann der Bürgerkrieg.

Die ästhetisch beeindruckendste Arbeit der Ausstellung ist John Akomfrahs cineastische Aufklärung der »Toxteth Riots«. In diesem Viertel von Liverpool entlud sich 1981 die Wut von Teilen der Bevölkerung über die Diskriminierung farbiger junger Männer durch die Polizei in mehrtägigen Straßenschlachten. Die Polizei setzte damals im Nordirland-Konflikt entwickelte Aufstandsbekämpfungstaktiken erstmals in England selbst ein. Akomfrahs bereits 1999 entstandener Film »Riot« legt Ursachen und Dynamiken in selten gesehener analytischer Schärfe frei und fesselt durch eine sehr durchdachte, eben nicht auf billige Erregung setzende Bildstrategie. Mit der Ausstellung krönt die ifa-Galerie ihr bemerkenswertes Zwölf-Monats-Projekt über »Koloniale Verhältnisse und zeitgenössische Gesellschaften«. Zuvor war es um »Globale Verbundenheit«, »Urbane Kulturen« und »Formen des Feminismus« gegangen.

ifa-Galerie, Linienstraße 139/140, Mitte; bis 1. April

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal