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Gegen »die da oben«
Rechte Gruppen wollen sich zunehmend an den bevorstehenden Wahlen der Beschäftigtenvertretungen beteiligen
Eigentlich beschäftigen den Betriebsrat des Daimler-Werks in Untertürkheim dieser Tage andere Aufgaben. In einer Woche beginnen im Stammwerk des deutschen Autobauers die alle vier Jahre stattfindenden Wahlen zur Beschäftigtenvertretung. Doch dieses Mal ist etwas anders: Anstatt sich ganz auf die Organisation der bevorstehenden Abstimmung konzentrieren zu können, ist das geplante Votum ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Wo sich über das einzelne Unternehmen hinaus sonst meist nur eingefleischte Gewerkschafter für den Ausgang einer Betriebsratswahl interessieren, wird nun gespannt darauf gewartet, wie sich das 45-köpfige Gremium bei den Autobauern in Untertürkheim künftig zusammensetzt.
Grund für die Aufregung ist das »Zentrum Automobil« (ZA), eine seit 2009 bestehende rechte Gruppierung, der es bei den letzten Wahlen 2014 gelang, mit knapp zehn Prozent der Stimmen vier Mandate im Betriebsrat zu erringen. Damals wurde der Erfolg noch belächelt. Doch vier Jahre, mehrere Wahlerfolge der AfD und einen Rechtsruck im Bundestag später, herrscht im Land und damit unweigerlich auch in den Unternehmen eine andere Stimmung. Auch deshalb geht der amtierende Betriebsrat nun in die Offensive: »Das Werk Untertürkheim erscheint in den Medien mittlerweile als ein Sammelbecken für Neonazis und ein Zentrum rechtsextremer Umtriebe«, kritisierte die Beschäftigtenvertretung in einer Erklärung die negative Berichterstattung und distanzierte sich »von allem rechtsradikalen und neonazistischen Gedankengut«.
- Die Betriebsratswahlen gehören zu den größten Abstimmungen des Landes. Sie werden alle vier Jahre durchgeführt, mit hoher Beteiligung. Der DGB geht von rund 28 000 Betrieben unterschiedlichster Größe aus, in denen die Arbeitnehmer bis Mai über rund 180 000 Mandate abstimmen, was etwa der Anzahl in den Kommunalparlamenten entspricht.
- Nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung wird nur eine Minderheit der Beschäftigten in Deutschland überhaupt von einem Betriebsrat vertreten. Im Westen waren es im Jahr 2014 in den Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten 43 Prozent, im Osten nur 33 Prozent. Besonders gering ist die Mitbestimmung im beschäftigungsintensiven Gast- und Baugewerbe, ebenso wie im Handel.
- Die Hürden zur Gründung einer Interessenvertretung sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz eigentlich niedrig. Die Initiative muss von der Belegschaft ausgehen. Der Betrieb muss mindestens fünf Beschäftigte haben. Ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten ist ein Betriebsratsmitglied von der Arbeit freizustellen.
- Mindestens ein Viertel der aktuellen Betriebsratsmitglieder ist nicht in einer Gewerkschaft organisiert, im ver.di-Organisationsbereich sogar mehr als ein Drittel. dpa/nd
Ähnlich äußerte sich auch DGB-Chef Reiner Hoffmann: »Eine der Aufgaben eines Betriebsrates ist es schon laut Gesetzgeber, gegen Rassismus im Betrieb einzutreten.« Jeder »rechtspopulistische Betriebsrat, der die Spaltung im Betrieb oder gesellschaftlich propagiert«, sei einer zu viel. Kurz vor dem Jahreswechsel hatte er noch etwas anders geklungen. Damals sprach Hoffmann von einem Randphänomen, einigen »Ideologen mit törichten Parolen«, deren Initiativen »wie Seifenblasen zerplatzen - wegen Unfähigkeit«. Tatsächlich sind sowohl das Potenzial als auch die Erfolgsaussichten rechter Gruppierungen auf die bundesweit neu zu vergebenen etwa 180 000 Betriebsratsmandate nur schwer einschätzbar. Wie viele rechte Kandidaten deutschlandweit in die Beschäftigtenvertretungen streben, darüber gibt es keine genauen Zahlen. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sprach vor einigen Tagen davon, ihm seien im Zuständigkeitsbereich seiner Gewerkschaft »nur in einer kleinen Zahl der 11 000 Betriebe« Fälle bekannt, wo rechte Listen antreten. Insgesamt bewege sich dies »im Promillebereich«. Bekannte Beispiele sind das BMW-Werk in Leipzig und der Opel-Standort in Rüsselsheim. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die rechten Gruppen auf Betriebsräte in den Niederlassungen einiger bekannter Großunternehmen konzentrieren, um dort symbolische Achtungserfolge zu erringen.
Bekannt ist dagegen die Zahl der Kandidaturen, mit denen das Zentrum Automobil antritt. »Über 300 Kollegen an fünf Daimler-Standorten« sollen es sein sowie weitere 200 Beschäftigte »in verschiedenen Branchen und Unternehmen, verstreut über die gesamte Bundesrepublik«. Unterstützung erhält ZA im Wahlkampf von der völkisch-nationalistischen Gruppierung »1 Prozent«, die sogar ein Kampagnenvideo für die »alternative Arbeitnehmervertretung für Mitarbeiter in der Automobilindustrie« veröffentlichte. Protagonist des Clips ist ZA-Chef Oliver Hilburger, früherer Gitarrist und Gründungsmitglied der inzwischen aufgelösten Rechtsrockgruppe »Noie Werte«. Im Dezember trat er auf Einladung des Publizisten Jürgen Elsässer auf der Jahreskonferenz des rechten »Compact«-Magazins auf. In seiner Rede behauptete Hilburger, die etablierten Gewerkschaften seien vom System gekauft und würden die Interessen der Beschäftigten verraten. Damit bewegt sich das ZA ganz auf einer ideologischen Linie mit seinen völkischen Unterstützern. Diese begründen ihre Kampagne »Werde Betriebsrat« mit den Worten, die Vertreter der »politischen Kaste« müssten »ausgetauscht werden, um unser Land zu retten«. Neben Hilburger waren auch weitere führende Köpfe des ZA früher Mitglied in Neonaziorganisationen. Laut »Report Mainz« engagierte sich ein Vorstandsmitglied in der verbotenen »Wiking Jugend«, ein weiteres im rechtsradikalen »Thule-Netz«.
Solche Verbindungen halten die AfD nicht davon ab, die Zusammenarbeit mit Hilburger zu suchen. Bei BMW in Leipzig tritt die ZA über ihren Ableger »IG Beruf und Familie« zur Betriebsratswahl an. Führender Kopf dieser Betriebsgruppe ist Frank Neufert, zugleich AfD-Politiker im Kreistag Zwickauer Land. Berührungsängste mit rechten Gruppen hat er nicht, auch er war bei der »Compact«-Konferenz dabei. Von dort ist die Anekdote überliefert, dass Neufert die IG Metall für keine freie Gewerkschaft hält, wie man sie den Ostdeutschen 1989 an den Runden Tischen versprochen habe. Hass auf die DGB-Gewerkschaften als Teil des Systems verbreiten, darin besteht die zentrale Strategie des AfD-Politikers als auch des ZA. Zudem scheint es bereits Expansionspläne in weitere Branchen zu geben. Bisher konzentrierte sich die rechte Gewerkschaft vordergründig auf die Automobilbranche, doch im Januar ließ sich Hilburger auch bei den Protesten gegen die drohende Schließung des Siemens-Turbinenwerks im sächsischen Görlitz blicken.
Das alles passt zum Plan von Björn Höcke, dem führenden völkischen Nationalisten in der AfD. Seit etwa 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bei der Bundestagswahl ihre Stimmen den Rechten gaben, intensivierte er seinen völkischen Sozialpopulismus. Noch ist selbiger kaum Teil des offiziellen AfD-Programms, das bisher stark beschäftigtenfeindlich geprägt ist. Doch Höcke will den »deutschen Arbeiter« stärker an die AfD binden.
Eigens dafür gründete sein früherer Büroleiter, der heutige Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl, am 1. Mai 2017 mit dem »Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschlands« eine Gewerkschaft, die Ende Januar zu einer AfD-Kundgebung nach Erfurt mobilisierte, an der etwa 2000 Menschen teilnahmen. Anlass war der geplante Bau einer Moschee. Doch Pohl, ganz völkischer Nationalist, vermengte seine islam- und asylfeindliche Haltung mit der sozialen Frage. Nur innerhalb geschützter Grenzen könne soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden, erklärte er.
Bei Daimler in Untertürkheim dürfte nicht nur der amtierende Betriebsrat widersprechen. In seiner Stellungnahme gegen rechte Tendenzen unter den Beschäftigten hob er hervor, dass in dem Daimler-Werk 22 000 Menschen aus 50 Ländern arbeiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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