Der Traum vom Eishockey-Gold

Die Deutschen bezwingen Kanada im Halbfinale mit 4:3 und stehen im Endspiel

  • Carsten Lappe und Kristina Puck, Pyeongchang
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Helden von Pyeongchang warfen die Schläger weg, stürmten auf das Eis und begruben Torhüter Danny aus den Birken in einer Jubeltraube unter sich. Als das Unfassbare tatsächlich eingetreten war, gab es kein Halten mehr. Die deutschen Eishockey-Stars lagen sich nach dem sensationellen Finaleinzug in den Armen, und auf der Tribüne hatte DOSB-Präsident Alfons Hörmann Tränen in den Augen. Mit einem 4:3 (1:0, 3:1, 0:2) gegen Rekordolympiasieger Kanada hat das Team von Bundestrainer Marco Sturm den größten Erfolg in der Geschichte des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) perfekt gemacht.

Das »Wunder von Innsbruck« beim Bronze-Gewinn 1976 ist bereits getoppt, jetzt kann der vor dem Turnier große Außenseiter am Sonntag (5.10 Uhr, ZDF) gegen die Olympischen Athleten aus Russland (OAR) ein bedeutendes Kapitel deutscher Sportgeschichte weiterschreiben.

»Silber ist in jedem Fall sicher. Wir haben eine Medaille. Wir haben uns einen Traum erfüllt mit einer unglaublichen Mannschaftsleistung. Das ist Wahnsinn, das muss ich erst mal realisieren«, sagte Torhüter Danny aus den Birken, und Frank Mauer fügte hinzu: »Das ist unwirklich. Damit haben wir nie gerechnet. Wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert und an uns geglaubt. Wir sind unglaublich stolz. Wir werden morgen aufwachen und fragen, was gestern passiert ist.« DOSB-Chef Hörmann war auf der Tribüne hin und weg: »Es war einfach nur cool. Der Erfolg ist schon eine gefühlte Goldmedaille. Das ist Wahnsinn, ich bin sprachlos. Einer für alle, alle für einen.«

Den historischen Erfolg von Pyeongchang gegen den 26-maligen Weltmeister schossen Brooks Macek (15. Minute), Matthias Plachta (24.), Frank Mauer (27.) und Patrick Hager (33.) heraus. Nie zuvor hatte Deutschland gegen das Mutterland des Eishockeys bei Winterspielen gewonnen - und zitterte nach einer zwischenzeitlich klaren 4:1-Führung bis zum Schluss.

Der neunmalige Olympiasieger kam gegen ein leidenschaftliches deutsches Team zu Toren durch Gilbert Brule (29.), Mat Robinson (43.) und Derek Roy (50.) und sorgte im Schlussdrittel für Spannung. Kanada spielt nun am Samstag gegen Tschechien lediglich um Bronze.

Zudem erwiesen sich die Kanadier als schlechte Verlierer. Mit einem üblen Check gegen den Kopf von David Wolf leistete sich Brule eine ganz hässliche Szene und musste nur vier Minuten nach seinem Tor zu Recht vom Eis. Mannheims Stürmer Wolf blieb minutenlang regungslos auf dem Eis liegen, rappelte sich dann immerhin auf, um gestützt in die Kabine zu fahren. Im Schlussdrittel kam der Mannheimer sogar noch einmal zurück aufs Eis. Als die deutschen Spieler sich im Laufe der Partie geradezu in einen Rausch spielten und kaum für möglich gehaltene Kunsttore schossen, trauten nicht nur die gut 7000 Zuschauer, darunter etliche deutsche Sportgrößen, ihren Augen nicht. Auch Kanadas Coach Willie Desjardins schüttelte ungläubig den Kopf, nachdem Münchens Mauer in NHL-Manier den Puck ins Netz trickste. Mit jedem Gegentor wurden die Mienen beim Favoriten finsterer.

Auch Kanadas Torhüter Kevin Poulin wusste nicht, wie ihm geschah, so flogen ihm die Pucks um die Ohren. Der Torhüter aus der osteuropäischen Kontinental Hockey League (KHL) hatte zuvor noch kein Tor im Turnier kassiert. Mit einem Penalty konnte ihn Dominik Kahun nach dem zweiten Gegentor zu Beginn des Schlussdrittels allerdings nicht überwinden.

»Kanada ist besser bestückt als wir, aber wir haben das größere Herz«, hatte Sturm vor dem Spiel gesagt und eindrucksvoll Recht behalten. Wegen des Olympia-Boykotts der NHL fehlen nicht nur dem Favoriten viele Stars, auch die besten deutschen Spieler sind in Südkorea nicht dabei. Mit dem nur aus DEL-Spielern bestehenden Kader hatte kein Experte vor dem Turnier gerechnet.

Schon mit dem Viertelfinalsieg gegen Weltmeister Schweden hatte Deutschland acht Jahre nach dem WM-Halbfinale in Köln gegen Russland (1:2) sowohl in Pyeongchang als auch in der Heimat für eine neue Euphorie gesorgt. Für das erste olympische Halbfinale überhaupt hatte sich der DEB vor Karten-Anfragen aus dem deutschen Team kaum retten können. »Die Nachfrage ist riesig. Ich musste beim Weltverband IIHF noch einmal Karten nachbestellen«, sagte DEB-Präsident Franz Reindl.

Im Gangneung Hockey Centre fieberten unter anderem die Olympiasiegerinnen Claudia Pechstein und Maria Höfl-Riesch sowie der DOSB-Vorstand mit.

Die Bronze-Gewinner von 1976 drückten daheim in Deutschland die Daumen. »Es ist Zeit, dass neue Helden geboren werden«, hatte der ehemalige DEB-Kapitän Alois Schloder vor dem Spiel gesagt, und der damalige Stürmerstar Erich Kühnhackl sagte: »Auf jeden Fall sind die Jungs würdige Erben von 1976.« dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal