Chinas neue Ära im Visier

Der 13. Nationale Volkskongress in Peking stellt die Führung der Partei in den Mittelpunkt

  • Werner Birnstiel
  • Lesedauer: 4 Min.

Außendarstellung und Ablauf politischer Großereignisse haben in China traditionell immer den Habitus eines Rituals. So auch in diesem Jahr zur Eröffnung des 13. Nationalen Volkskongresses am Montag. 2980 Delegierte aus 23 Provinzen, fünf Autonomen Gebieten, vier regierungsunmittelbaren Städten, Hongkong und Macao sowie der Volksbefreiungsarme strömten über den Tian-An-Men-Platz in die Große Halle des Volkes. Die Wahl der neuen Staatsführung, das Was und Wie bei der Weiterführung der Reform staatlicher Institutionen und ein neues Modell zur Korruptionsbekämpfung stehen nun auf der Tagesordnung.

Im Arbeitsbericht seiner Regierung nannte Ministerpräsident Li Keqiang als Wirtschaftswachstumsziel rund 6,5 Prozent für 2018, bis 2023 wird es sich in der gleichen Größenordnung bewegen. Kern allen Vorgehens ist, nun tatsächlich in die »neue Ära« zu starten, wie sie vom 19. Parteitag der KP Chinas im Oktober 2017 vorgezeichnet wurde. Heute steckt im politisch-historischen Selbstverständnis dahinter Chinas »Aufstehen« (gan qilai) unter Mao Zedong 1949; das »wohlhabend Werden« (fu qilai) unter Deng Xiaoping und der von ihm eingeleiteten Reform- und Öffnungspolitik 1978; und nun das »stark Werden« (qiang qilai) unter Xi Jinping, mit dem Ziel des »vollständigen Aufbau eines modernen sozialistischen China« bis 2049, dem 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik.

Viel Beachtung findet die vorgesehene Verfassungsänderung, mit der zukünftig die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, aufgehoben wird. Ebenso, dass das Xi-Jinping-Denken zum »Sozialismus chinesischer Prägung in der neuen Ära« in die Verfassung eingeht. Das politische Machtgefüge wird damit auf die Stärkung der Zentralmacht und die Person Xis ausgerichtet. Neu erscheint das nicht, wurde China in seiner Geschichte doch weitgehend durch eine mehr oder weniger starke Zentralmacht regiert.

Heutzutage nun wird die Kunst des Machbaren darin bestehen, ob es unter Xi gelingt, die von ihm als politische Handlungsgrundlage benannte »Konsultationsdemokratie« auf allen Ebenen in der komplexen und rasanten gesellschaftlichen Entwicklung Chinas praktisch umzusetzen. Insofern hinken gängige Vergleiche mit der angeblichen einstigen Machtfülle Mao Zedongs oder dem Einfluss Deng Xiaopings der heutigen Realität hinterher. Denn die Leistungsanforderungen an die politische Führung sind inhaltlich anderer Art und unvergleichlich höher. Der Trend zum Personenkult ist jedoch unübersehbar.

Tatsächlich wirkt die Politik unter Xi Jinping maßgeblich auf die Beschlüsse des 13. Volkskongresses. So werden die führende Rolle der Partei als Grundorientierung für die »Neue Ära« definiert und Lösungen in der sozialen Frage in den Mittelpunkt gestellt. Bei der Umstrukturierung der Wirtschaft von der »Phase rasanten Wachstums zur Phase der hohen Qualität« geht es immer um die Frage, Arbeitsplätze zu erhalten, zu modernisieren, neue Beschäftigungsbereiche zu erschließen. 11 Millionen neue Arbeitsplätze wurden 2017 geschaffen und die Arbeitslosenrate in den Städten unter 4,5 Prozent gehalten - vor allem durch die Schaffung beruflicher Ausbildungsplätze. Zugleich steht die Armutsbekämpfung weiterhin ganz oben auf der Prioritätenliste. Seit 2013 wurden 68,5 Millionen Menschen aus der Armut befreit, bis 2021 zum 100. Jahrestag der KP Chinas soll es vollständig gelingen, den verbliebenen etwa 50 Millionen Armen einen bescheidenen Wohlstand zu sichern. Etwa 1,35 Milliarden Chinesen sind heute krankenversichert, über 200 Millionen Wanderarbeiter erhalten Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, über 5,8 Millionen Sozialwohnungen entstehen 2018.

Machtpolitisch ist bedeutsam, dass unter Xi eine grundlegende Reform der Streitkräfte durchgesetzt wurde. Ihre Umstrukturierung ist abgeschlossen, technisch werden sie modernisiert, der Militärhaushalt für 2018 beträgt circa 140 Milliarden Euro, 8,1 Prozent mehr als 2017.

Außenpolitisch und außenwirtschaftlich ergibt sich aus dem Kongress, dass China und die EU, darunter Deutschland, als »Partner und Konkurrenten« weiter zusammenwachsen. Das widerspiegeln noch fünf Tage vor dem 13. Kongress in Kraft gesetzte Bestimmungen, die »irrationale Investitionen« im Ausland verbieten, allen voran in Immobilien und Unterhaltung, ebenso »aggressive Auslandsinvestitionen« wie durch HNA (Beteiligung an der Deutschen Bank mit 2,6 Milliarden Euro), die Anbang-Versicherungsgruppe und andere. Gestattet werden aber »gesetzestreue« Beteiligungen, vor allem in E-Mobilität und »sensitive Bereiche« wie Maschinenbau oder Robotik. Die »Made in China 2025«-Strategie und die Seidenstraßen-Initiative werden intensiv ausgebaut, harte Verhandlungen zu allen Fragen sind stets zu erwarten. Da der politische Wille und die Notwendigkeit zur immer engeren Kooperation dominieren, wird China noch nachhaltiger als bisher Wirtschaftspartner Nummer eins für Deutschland sein.

Unser Autor ist promovierter Sinologe. Er berät und begleitet Unternehmen bei der Markterschließung in China.

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