Liebe und Revolution

Am Staatstheater Cottbus inszenierte Martin Schüler Mozarts »Don Giovanni«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Offene Szene. Blutrote Schals hängen, statt eines Vorhangs, über die ganze Breite der Bühne. Was wird hier gespielt? Revolution? Erotische Liebe? Beides offenbar. Wo helle Aufregung ist und die Verhältnisse gefährlich, kreuzt der Schwanz das Bajonett. Das wusste schon Georg Büchner und schrieb nach diesem Bilde das Drama »Dantons Tod«, in dem Liebe und Revolution scheitern. In Mozarts »Don Giovanni« ist sofort Krieg. Epochal der Geschlechterkampf darin. Sechs Figuren stehen an jener Schwelle, auf der sich entscheidet, wem das Kommende gehören wird. Die alte aristokratische Ordnung mit ihren daran geketteten Männern und Weibern ist aus dem Gleichgewicht. Vor der Tür steht jener dynamische, alte Zöpfe und Moralgesetzte zerreißende Mensch namens Don Giovanni. Was wird passieren? Wird er bestehen können?

Mozarts Musik mischt mit ihren unnachahmlichen Mitteln nicht nur die alten aristokratischen Moden auf. Sie verlacht den Standesdünkel, sie nimmt Lüge und Heuchelei raffiniert auseinander und leugnet keineswegs die Wahrheiten wirklicher Liebe. Die Ouvertüre schreit zu Beginn, und der Schrei hallt im doppelten Sinn nach. Die meisten Inszenierungen lassen die Eröffnung bei geschlossenem Vorhang einfach ablaufen. Anders Martin Schüler, der den »Giovanni« in Cottbus mit einem phantastischen Ensemble inszenierte. Er lässt den Komtur in Generalsuniform von der Loge herab seinen Zorn entladen. Der erste Takt der Ouvertüre fällt aufs Genaueste mit seinem Schrei zusammen, was die Wirkung erhöht. Argwöhnisch verfolgt er, wie der umtriebige Giovanni hinter seiner Tochter Donna Anna her ist. Die beiden necken einander. Wild ihre Umarmungen. Sie rennen vor lauter Freude, umkurven das schiefe Haus, beziehen dahinter wiederholt Stellung, um sich hernach den Schweiß von der Stirn zu wischen. Der General will Giovanni an den Hals, fordert ihn mit dem Degen heraus und stirbt bei dem Gefecht. Das ist der Springpunkt aller folgenden Konflikte und des tödlichen Endes des Titelhelden.

Alle sind einander hinterher. Don Ottavio, Annas Verlobter, will die »Untat« rächen. Anna liebt ihn aber nicht, jedenfalls nicht ernstlich, weswegen er noch mehr hinter ihr her ist. Sie liebt Giovanni, was die rachsüchtige Umgebung ihr verbieten will. Geht sie mit Schleier im Gesicht, trauert sie um ihren Vater, lüftet sie ihn, lodert wieder ihre Liebe. Diese schöne Idee verwirklicht Sara Rossi Daldoss sehr anschaulich. Dirk Kleinke, beliebt als verschmitzter, hintergründiger Tenor, groß in Pfaffenrollen, hatte keine Probleme, den Ottavio als ungelenken Rächer und komischen Liebhaber zu singen.

Darf ein Giovanni, die Inkarnation männlicher Lebens- und Liebeslust, überhaupt verheiratet sein? Die unglückliche Ehefrau heißt Donna Elvira. Klar wird: Sie ist ihrem Gatten dauernd hinterher. Zwar will sie das Leid der Anna lindern helfen, schmeißt sich aber dem angeblichen Mörder immer wieder an die Brust. Die Arien der energischen Debra Stanley schwanken denn auch zwischen heiß und kalt, Liebe und Hass.

Dem Freiheitshelden ewig hinterher ist auch Leporello. Dauernd singt er sich vor, seinen Herrn zu verlassen, weil der trotz unendlicher Affären und damit verbundener Gefahren nicht zur Ruhe käme. Doch zu verlockend sind die Scheine, die Giovanni ihm bei solchen Krisen reicht. Die beiden brauchen sich ganz praktisch. Von widerwillig bis zutiefst solidarisch (am Schluss im Bogen der Bühnenwand bangt er zitternd um das Überleben seines Herrn) temperiert Andreas Jäpel souverän diese an Ernst und Komik reiche Figur.

Giovannis Flucht ist gefährliche Odyssee und zugleich Vorgang der Lust auf neue Abenteuer. Christian Henneberg entpuppte sich sofort als Idealtypus der Rolle. Dynamo des Suchens und Findens ist er, kreisender Habicht mit elegantem Gefieder, der im geeigneten Moment seine Beute zu fassen kriegt. Dazu steigt er sogar runter ins Parkett. Extrempunkt seiner biologischen Liebesgier: Er vernascht gleich zwei der Damen, die ihn hassen, aber seine Umarmungen nicht missen wollen. Urkomisch das Gewühl und heftige Atmen des singenden Dreigespanns.

Oft muss er die Kleider wechseln, um nicht erkannt zu werden. Beim Rollentausch mit Leporello steigt er in Klamotten, wie sie der schlichte Bürger anhat (Kostüme Susanne Suhr). Henneberg spielt nicht nur den Weiberhelden, er beseelt den Draufgänger genauso als Figur der Freiheit. Da Ponte und Mozart schrieben eine Oper der Emanzipation. »Libera viva« hallt es von der Bühne. Ein Held und Moralapostel mit Taschenmesser und Fahne wäre hier genau der Falsche gewesen. Was ist eine Revolution wert ohne Menschen aus Fleisch und Blut?

Im Bühnenbild der Gundula Martin scheinen die Verhältnisse buchstäblich zu kippen. Das vornehme, im Verfall stehende Haus mit den großen Torbögen, vor und hinter dem gesungen wird, steht nach vorn gebeugt, als bebte die Erde. Glänzend erdacht.

Dem Bauernmädchen Zerlina ist der Schwerenöter freilich auch hinterher - und diese ihm, was ihrem Bräutigam Masetto, gleichfalls Bauer, das Blut ins Hirn steigen lässt. Eifersucht beschleunigt das Tempo, der verirrten Geliebten sich in den Weg zu stellen und die Sense zu schärfen. Farbig und volkstümlich wirken die kleine Liudmila Lokaichuk und der hochgewachsene Ingo Witzke, in deren echte Liebe Giovanni rigide dreinfährt. Ergreifend die Arien und Duette des Paares angesichts solcher Bedrohungen. Wie der Jagdhund hinter dem Hirsch ist Masetto mit Verbündeten hinter dem Verführer her, trifft aber nur Leporello, der in Kleidern seines Herrn steckt. Statt seiner solle er nun sterben? Rechtzeitig erscheint Giovanni und schlägt Masetto lazarettreif. Der Ärmste muss fortan am Stock und mit Verbandszeug am Leib durch die Oper hinken.

Groß aufgemacht, wie es sich geziemt, die Ball-Szene. Die Musik ist hier besonders vertrackt, denn sie schichtet drei verschiedene Tanzformen übereinander. Kein Problem für die Musiker des Philharmonischen Orchesters unter dem umsichtigen Evan Alexis Christ, solche Tücken zu meistern. Mit dem Chor im Zentrum öffnet die Szene den Blick in eine Gesellschaft, die aller Freiheitsbestrebung Feind ist. Der schwarz gewandete, mächtig intonierende gemischte Chor (Einstudierung: Christian Möbius) wirkt wie eine undurchdringliche Wand. Von der Empore herab schleudern die drei schwarzen Masken (Anna, Ottavio, Elvira) ihr drohendes Terzett in den Saal.

Bestens gelöst genauso die Schlussszene. Sie weist unmittelbar in die Gegenwart. Der Komtur erscheint bei traditionellen Lesarten gewöhnlich als monumentaler Steinerner Gast. Martin Schüler jedoch bringt eine ganze Schar von Komturen - in Militärmänteln - auf die Bühne. Diese furchteinflößenden Figuren wandeln je langsamer, desto gefährlicher in rauchiger Landschaft. Giovanni fürchtet sich vor diesen so wenig wie die Freiheitshelden der Renaissance und Französischen Revolution vor ihren Häschern. Der Bann geht über ihn, bevor der tödliche Schuss fällt. Das Schluss-Sextett versammelt noch einmal die sechs und lässt die herrlichste Musik aus ihren Mündern fahren.

Nächste Vorstellung am 2. April

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