Es war einmal ein Angestellter

Der Schriftsteller Arnfrid Astel war eine Zeit lang der Lyriker der Linken

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gab eine Zeit in der Bundesrepublik, da war Arnfrid Astel ein relativ bekannter Lyriker, ein Meister der kleinen Form, wie es immer hieß. Nicht bei allen war er bekannt natürlich, aber unter Linken, auch unter Leuten, die Willy wählten und Grass, Rühm᠆korf, Böll und Gisela Elsner lasen.

In den 70ern konnte man seine Gedichte in nicht wenigen Anthologien finden, 1978 erschien sogar bei Zweitausendeins der Sammelband »Neues (& altes) vom Rechtsstaat & von mir«, der alle bis dahin entstandenen Epigramme beinhaltete. Etwa dieses (»Heute noch«): »Es war einmal ein Angestellter./Der saß jahraus jahrein täglich/acht Stunden in seinem Büro./Und da er längst gestorben ist,/sitzt er dort heute noch.«

Der Mann, der mit seinen zeitkritischen Gedichten »gegen Atombewaffnung, Atomkraftwerke und Berufsverbote zu Felde zog« (Hans Christoph Buch), sprach auf seine oft hintersinnige Art aus, dass die deutsche Demokratie, die alle im Munde führten, noch mehr vom deutschen Faschismus in sich hatte, als die meisten wahrhaben wollten. Sein Gedicht »Sauerei« etwa lautet wie folgt: »Franz Josef Strauß,/Sohn eines ehrlichen Metzgers,/sieht in der Apo Tiere./Sauerei, stellt er fest,/die kopulieren im Freien.«

Das Gedicht »Ja, wozu eigentlich?« geht so: »Hilde Domins Frage /›Wozu Lyrik heute?‹/erinnert mich an einen Witz,/wo der Leutnant/den Rekruten fragt,/›Weshalb soll der Soldat/sein Gewehr nicht fallen lassen?‹,/worauf dieser antwortet,/›Ja, warum soll er eigentlich nicht?‹«

Noch ein Epigramm: »Ich hatte schlechte Lehrer. Das war mir eine gute Schule.« Auch Astels Gedicht »Telefonüberwachung« (1970) ist heute nicht weniger aktuell als zur Zeit seiner Entstehung: »Der ›Verfassungsschutz‹/überwacht meine Gespräche./Mit eigenen Ohren hört er:/Ich mißtraue einem Staat,/der mich bespitzelt./Das kommt ihm verdächtig vor.«

Astel wurde 1933 geboren. Sein Vater, der auch den Vornamen seines Sohns wählte, war ein glühender Nationalsozialist. Von 1967 bis zu seinem Ruhestand 1998 war Astel als Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk tätig. Als sein damaliger Chef den vermeintlichen Staatsfeind und Pornografen loswerden wollte und ihm 1971 fristlos kündigte, brachten ihn ein über drei Instanzen geführter Arbeitsrechtsprozess und viel Unterstützung von anderen Künstlern nach zwei Jahren wieder zurück an seinen Arbeitsplatz.

Seine frühe engagierte Lyrik verfasste Astel zu einer Zeit, als in den Schullesebüchern der Bundesrepublik noch die Gedichte von Nazidichtern neben jenen der sogenannten inneren Emigranten standen. Sie traf den Literaturgeschmack der um 1968 Aufbegehrenden, ganz und gar nicht aber den der Altnazis in Rang und Würden.

Und doch waren es Gedichte, Epigramme, die sich nicht in ihrem Engagement erschöpften, die nichts Parolenhaftes oder plump Agitpropartiges an sich hatten. Im Gegenteil: Sie hatten oft Eigenschaften, die man beim Gros der ebenso bleischweren wie bildungshubernden deutschen Lyrik der Gegenwart (Grünbein & Co.), die sich meist in aufgeblasener L’art pour l’art-Attitüde gefällt, schmerzlich vermisst: eine gewisse Leichtigkeit, ein grundsätzliches Misstrauen gegen Polizei, Justiz, Nation, Staat und Heimatblödsinn, eine Lust an der Verweigerung der Teilnahme am gesellschaftlichen Konformitätszwang und einem nicht immer gleich offen zutage liegenden Witz.

Der Literaturkenner Martin Knepper schreibt über Astel: »Sein Gesamtwerk hat er, von der Öffentlichkeit seit längerem weitgehend unbeachtet, ins Netz gestellt, es müssen Tausende kleiner Perlen sein. In späteren Jahren sind die Gedichte von südlicher Sonne durchwärmt, begonnen hat er jedoch als durchaus politischer Beobachter der Jahre ab 1967, kühle Spitzen in der Tradition eines Martial.« Am vergangenen Montag ist Arnfrid Astel, den der österreichische Schriftsteller Alois Brandstetter einmal den »Georg Christoph Lichtenberg unserer Zeit« genannt hat, in Trier verstorben. Er wurde 84 Jahre alt.

Arnfrid Astels Werk im Internet:

www.zikaden.de

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