Neuer Streik an der Charité droht

Auch die Therapeuten wollen gleiches Geld für gleiche Arbeit

  • Wladek Flakin
  • Lesedauer: 3 Min.

Stephan Straßer ist Experte für das sogenannte Weaning. Der englischsprachige Begriff bezeichnet den Vorgang, mit dem Krankenhauspatienten von Beatmungsgeräten entwöhnt werden. Sie sollen frühestmöglich wieder mit eigener Kraft atmen, um mobil und alltagstauglich zu werden. »Das ist ein langer Prozess«, sagt Straßer, und »kann manchmal Monate oder Jahre dauern«.

Der 34-jährige Physiotherapeut arbeitet seit 2013 in einer Intensivstation am Universitätsklinikum Charité. Aber im Gegensatz zu den Ärzten und Pflegekräften, mit denen er permanent zusammenarbeitet, ist Straßer nicht bei der Charité angestellt. Seinen Arbeitsvertrag hat er bei der Charité Physiotherapie und Präventionszentrum GmbH (CPPZ), einer hundertprozentigen Tochterfirma des Krankenhauses. Während seine Arbeitskollegen nach dem Tarifvertrag Öffentlicher Dienst bezahlt werden, bekommen CPPZ-Beschäftigte 600 oder sogar 1000 Euro weniger im Monat.

Seit 2009 werden Therapeuten an der Charité nur noch über die CPPZ eingestellt. Geschäftszweck der Tochter ist offenbar Tarifflucht - ähnlich wie bei der Charité Facility Management (CFM), in der das Servicepersonal des Krankenhauses outgesourct wurde. Heute arbeiten knapp 200 Menschen fürs CPPZ: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sporttherapeuten und weitere. 80 haben einen Arbeitsvertrag mit der Charité, weil sie bereits 2008 dort angestellt waren. Diese Kollegen werden von der Charité ans CPPZ entliehen - deswegen erhalten sie weiterhin Tariflöhne. »Es ist einfach nicht vermittelbar, dass der Kollege neben dir für die gleiche Tätigkeit 600 Euro mehr bekommt«, sagt Straßer.

Aber Straßer beschäftigt sich nicht nur mit Weaning, sondern auch mit Arbeitsrecht. 2015 gründete die CPPZ-Belegschaft einen Betriebsrat und wählte Straßer zum Vorsitzenden.

Die Personalnot bei Therapeuten spitzte sich in den letzten Monaten zu. Aufgrund der schlechten Bezahlung gibt es wenig Nachwuchs. Inzwischen suchen Krankenhäuser verzweifelt nach Fachleuten, Leiharbeitsfirmen bieten teilweise Löhne an, die über dem Tarifniveau legen. Bei der CPPZ hat es deswegen eine Reihe von Kündigungen gegeben. Kollegen finden schnell eine deutlich besser bezahlte Stelle. Aber Straßer, der schon mehrere Jahre in den Aufbau des Betriebsrats investiert hat, sucht keine individuellen Lösungen für eine bessere Bezahlung. Die Gewerkschaft ver.di will die CPPZ zu Verhandlungen auffordern, mit dem Ziel der Entlohnung nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst.

Die CPPZ-Geschäftsführung ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Aber die Therapeuten reden mit den Parteien im Abgeordnetenhaus. Die CPPZ-Beschäftigten haben sich, zusammen mit den ebenfalls outgesourcten Therapeuten des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes, bereits mit Vertretern von SPD, LINKE und Grünen zusammengesetzt. Im Mai ist eine weitere Runde geplant. Der Senat will sich erst um die bis Jahresende geplante Rekommunalisierung der CFM kümmern, und danach »wird über weitere Eingliederungsschritte in der Koalition diskutiert«, so Tobias Schulze, Wissenschaftsexperte der Linksfraktion, gegenüber »nd«. Im Vordergrund steht für ihn eine Verbesserung der tariflichen Situation. Wenn nämlich von Tochterunternehmen keine Niedriglöhne mehr gezahlt werden, »dürfte einer der Hauptgründe für das Outsourcing wegfallen«, argumentiert Schulze.

An der CFM wurde vor wenigen Wochen eine geringfügige Lohnerhöhung verkündet. Doch Tariflöhne und eine Wiedereingliederung im Krankenhaus sind trotz der Wahlkampfversprechen von Rot-Rot-Grün in weiter Ferne. Die bisherigen Verbesserungen kamen nur durch Arbeitskämpfe zustande.

Sind Streiks auch bei der CPPZ denkbar? »Auf jeden Fall«, sagt Straßer. Der Grad der Organisierung in der Gewerkschaft und die Streikbereitschaft seien hoch. Sogar an die CPPZ entliehene Kollegen, die nicht von einer Gehaltserhöhung profitieren würden, zeigen ihre Bereitschaft, aus Solidarität mit in den Arbeitskampf zu treten. »Auch sie leiden darunter, dass zu wenig Personal ist, dass die Kollegen ständig wechseln, dass immer jemand neues eingearbeitet werden muss«, erzählt Straßer.

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