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Mein Name spielt keine Rolle

Begegnung auf Augenhöhe - Heike Steinwegs Porträts von Frauen im Exil im Museum Europäischer Kulturen

  • Felix Koltermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Thema Migration war und ist seit Jahren ein Dauerbrenner in der massenmedialen Berichterstattung. Fast immer standen das Kollektiv und damit Leid und Entbehrung im Vordergrund. Nur selten wurden die Protagonisten und Protagonistinnen menschlich und würdevoll gezeigt. Genau dies gelingt der Berliner Fotografin Heike Steinweg in ihrer Ausstellung »Ich habe mich nicht verabschiedet - Frauen im Exil«, die als Sonderausstellung im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem zu sehen ist. Die porträtierten Frauen stammen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Irak. Sie sind aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen.

Die Ausstellung wird in einem quadratischen Raum im Obergeschoss des Hauses gezeigt. Eines neben dem anderen hängen dort die 33 lebensgroßen Porträts, sodass man ihnen im wahrsten Sinne des Wortes auf Augenhöhe gegenübertreten kann. Die Hängung ist deswegen überzeugend, weil das Konzept einfach ist, ohne simplifizierend zu sein. Alle Bilder sind Halbkörperansichten. Zu sehen sind der Oberkörper inklusive der Arme und Hände der Frauen. Mit formaler Strenge hat Heike Steinweg die Frauen im Studio vor einem schwarzen Hintergrund fotografiert. Die Frauen schauen ernst, manchmal auch mit einem leichten Lächeln. Was begeistert, ist der Blick, der offen und direkt auf die Betrachter gerichtet ist.

Seit dem Jahr 2015 hat Heike Steinweg an diesem Projekt gearbeitet. Ausgangspunkt war eine Begegnung mit der Syrerin Hend in einer Berliner Notunterkunft. Die Fotografin zeigte sich beeindruckt von Hends Lebensfreude, aber zugleich auch von ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit, im Exil einen Weg einzuschlagen. Heike Steinweg versteht es dabei als einen politischen Prozess, das Schicksal anderer Menschen anschaulich zu machen und Ebenen offenzulegen, die in der aktuellen, meist generalisierenden Presseberichterstattung untergehen. Ihr Wunsch ist es, »einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, denn das persönliche Gespräch verändert beide Seiten und gibt ein Gefühl der Zugehörigkeit«.

Arbeiten wie Steinwegs Projekt brauchen nicht nur Text, sie leben auch vom Text. Insofern ist es nur konsequent, dass sich unter jedem Bild ein kurzes Zitat der Porträtierten findet und im Raum Mappen mit den vollständigen Transkriptionen der Interviews ausgelegt sind, die Steinweg mit den Frauen geführt hat.

Gleichzeitig kann der Einsatz von Text aber auch seine Tücken haben, da durch ihn Deutungen und Zuschreibungen vorgenommen werden. Heike Steinweg jedoch umschifft diese Klippen gekonnt. In der Ausstellung ist Fadwa einfach nur Fadwa, und nicht etwa die Syrerin Fadwa, die als Asylantin in Deutschland lebt. Im Vordergrund stehen die einzelnen Personen, ihre individuellen Geschichten, zu denen natürlich auch ihre Religion und ihre Nationalität gehören. Aber dies kommt erst an zweiter oder dritter Stelle.

Die von Steinweg porträtierten Frauen sind Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Progammiererinnen oder Ingenieurinnen, mithin also fast alles Akademikerinnen, die entweder schon mit guter Ausbildung nach Deutschland kamen oder hier studierten. Viele von ihnen, so zeigen die Biografien, haben in Deutschland Fuß gefasst, arbeiten bei großen Unternehmen oder in der Kreativwirtschaft, publizieren eigene Bücher oder schreiben als Autorinnen für deutsche Tageszeitungen. Aber so schön diese Erfolgsgeschichten auch sind, so fragt man sich doch, wo die geblieben sind, die nicht so viel Erfolg hatten, die ohne akademische Ausbildung in Deutschland angekommen sind und die sich im rassistischen Netz der deutschen Bürokratie verheddert haben. Dies ist eine Leerstelle, die es zu füllen gilt, vielleicht in einer Fortsetzung des Projekts.

Nur eine der Frauen wird in Rückenansicht gezeigt. Von ihr, die unter A. firmiert, sieht man nur lange, schwarze Locken, die über ihren Rücken fallen. Sie kam auf Einladung einer Stiftung nach Deutschland, um im Auswärtigen Amt über die Menschenrechtssituation in ihrem Heimatland zu berichten. Nach einer Warnung, dass man es zu Hause auf sie abgesehen hätte, beantragte sie politisches Asyl.

Ihre Aussage stand Pate für den Titel der Ausstellung und fasst deren Botschaft perfekt zusammen: »Mein Name spielt keine Rolle. Ich bin ein Mensch. Mein Gesicht ist wie eine Leinwand, auf der ihr euch alle Gesichter vorstellen könnt, die jemals von Leid und Sehnsucht gezeichnet wurden. Meine Hautfarbe ist die Hautfarbe aller Menschen zusammen. Es ist egal, welche Nationalität ich habe, und welche Religion ich ausübe. Ich möchte, dass ihr die Tiefe meiner Trauer versteht: Ich kann nicht zurück in mein Land, und ich habe mich von meiner Familie nicht verabschiedet, weil ich nicht wusste, dass es ein Abschied für immer war.«

»Ich habe mich nicht verabschiedet - Frauen im Exil«, bis zum 15. Juli im Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, Dahlem

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