Millionengeschenk an die Verlagsbranche

Schwarz-roter Koalitionsvertrag sieht vor, den Rentenbeitrag der Unternehmer für Zeitungszusteller zu senken

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Koalitionsverträge mehr oder weniger deutlich die Handschrift von Lobbyisten tragen. Auch diesmal ist es unter anderem den in allen beteiligten Parteien gut vernetzten Vertretern der Pharma-, Energie-, Automobil- und Immobilienbranche gelungen, ihre Forderungen zur offiziellen Regierungspolitik zu machen. Doch selten geschieht das so dreist wie im Falle der Zeitungsverleger. Im sonst eher vage gehaltenen Vertrag steht klipp und klar: »Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf fünf Prozent abgesenkt.« Das bedeutet, dass eine bestimmte Branche das systemwidrige Privileg erhält, die gesetzlich festgelegten Sozialversicherungsbeiträge für Minijobs um zwei Drittel zu senken.

Die Regierung folgte damit einer Forderung, die Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), bereits Anfang des Jahres unmissverständlich formuliert hatte. Die Zeitungszustellung müsse »durch geeignete Maßnahmen für die Verlage finanzierbar bleiben. Die neue Bundesregierung muss zügig über entsprechende Sicherungsmaßnahmen entscheiden.« Der BDZV ist der Dachverband für die Verlage von 281 Tageszeitungen, deren tägliche Auflage mehr als 14,3 Millionen verkaufte Exemplare beträgt, und 13 Wochenzeitungen mit knapp einer Million verkaufter Exemplare.

Es gibt in Deutschland rund 140 000 Zusteller, die ausschließlich Zeitungen und Zeitschriften austragen. Fast alle arbeiten auf Minijobbasis. Bei einer in diesem Erwerbssektor üblichen Vergütung von 450 Euro pro Monat käme eine Umsetzung des Koalitionsbeschlusses einer Bruttolohnkürzung um zehn Prozent gleich. Das sind 45 Euro pro Monat. Auch der gesetzliche Mindestlohn, der nach einer langen Karenzzeit seit 2017 auch für Zusteller gilt, würde auf diese Weise ausgehebelt werden, wenn die Betroffenen den Differenzbetrag selber tragen müssen.

Diese Blöße will sich die Bundesregierung aber wohl nicht geben. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) versicherte in einem Gespräch mit der ARD, die Differenz solle vom Staat übernommen werden. Ähnlich äußerten sich führende SPD-Vertreter. Auch der BDZV setzt auf diese Lösung. Für die Minijobber werde es keine Gehaltseinbußen geben, heißt es auf seiner Webseite. Die Beitragssubvention entspreche der »verfassungsrechtlichen Verantwortung« der Parteien für die Sicherung der Presse- und Meinungsvielfalt.

Gewerkschaften und Fachpolitiker lehnen die Absenkung des Arbeitgeberanteils ab. Die rentenpolitischen Sprecher von Grünen und Linkspartei haben in der Sache schon Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Und auch einige Parlamentarier von CDU, CSU und SPD äußerten ihren Unmut über den Plan, der wohl erst kurz vor Toresschluss unter Umgehung der eigentlich dafür zuständigen Arbeitsgruppe von »ganz oben« in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben wurde. Wobei sich die Koalitionspartner öffentlich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Besonders für die SPD dürfte die Angelegenheit einigermaßen peinlich sein. Denn im Wahlkampf hatte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Martin Schulz eine Senkung der Sozialabgaben für Verlage noch explizit ausgeschlossen.

Wie und wann der dafür zuständige Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) das millionenschwere Geschenk für die Verlagsbranche in Gesetzesform gießen wird, ist noch offen. Selbst wenn es dabei nicht zu einer direkten Lohnkürzung für die Zusteller kommen sollte, ist diese »Lex BDZV« eine sozialpolitische Tretmine. In anderen Branchen, in denen viele Minijobber beschäftigt werden, wird man die Entwicklung aufmerksam beobachten. Denn mit welchem Recht könnte man ihnen eine vergleichbare Senkung der Abgaben jetzt noch verweigern. Abhilfe schaffen könnte da ein grundlegender Systemwechsel, wie ihn die LINKE sowie Teile der Gewerkschaften fordern. Nämlich die Einbeziehung aller Mini- und Midijobs in die allgemeine gesetzliche Rentenversicherungspflicht vom ersten Euro an.

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