Brasiliens Demokratur

Martin Ling über den Beschluss gegen Ex-Präsident Lula

Die Uhr tickt für Brasiliens Ex-Präsidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva. Nach dem Beschluss des Obersten Gerichtes in Brasilía spricht viel dafür, dass Lula nach dem 10. April seine Haftstrafe von zwölf Jahren und einem Monat antreten muss, zu der er wegen Korruption bereits in zweiter Instanz verurteilt wurde. Dass der Fall alles andere als juristisch unumstritten ist, zeigt das mit sechs zu fünf Richterstimmen knappe Ergebnis.

Dabei ging es um die Frage, ob Lula bis zum letztinstanzlichen Urteil auf freiem Fuß bleiben darf oder schon - gegen einen bisher geltenden Verfassungsgrundsatz - davor in Haft muss.

So polarisiert wie das Oberste Gericht ist auch die brasilianische Gesellschaft: Mehr als 30 Prozent wollen Lula kommenden Oktober wieder ins höchste Amt wählen, so er antreten darf, die Hälfte schließt aus, für ihn zu stimmen, und nicht wenige wollen ihn im Gefängnis sehen - und sei es nur als Symbol für die in der politischen Klasse verbreitete Korruption, persönliche Schuld hin oder her.

Das Verfahren gegen Lula ist ein Indiz mehr dafür, dass Brasiliens Gesellschaft gerade die größte Zäsur seit dem Ende der Diktatur (1964 - 1985) erfährt. Dass ein General im Ruhestand unverhohlen damit drohte, dass die Situation »mit Kugeln gelöst werden« müsste, sollte Lula nicht ins Gefängnis kommen, spricht Bände. Brasiliens Demokratie ist bereits eine Demokratur und das muss noch nicht das bittere Ende sein.

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