Zu Besuch beim Ex-Spion

Martin Leidenfrost wollte etwas über die Vorwürfe gegen Jeremy Corbyn und das Nervengift Nowitschok herausfinden

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor der Vergiftung des einstigen Doppelagenten Skripal wurde die britische Öffentlichkeit mit einem anderen Agentendrama gefüttert: Oppositionsführer Jeremy Corbyn wurde vorgeworfen, in den späten 80er Jahren dem Geheimdienst der sozialistischen Tschechoslowakei zugearbeitet zu haben. Der Labour-Abgeordnete habe dies bewusst getan, habe sogar in einer konspirativen Wohnung Geld angenommen.

Corbyns angeblicher Führungsoffizier lebt 100 Kilometer östlich von Wien. In der Slowakei, am Südhang der Kleinen Karpaten, im Weinbauort Limbach, an dessen evangelischer Kirche immer noch geschrieben steht: »Eine feste Burg ist unser Gott«. In Limbach wohnen reiche Russen und ein slowakischer Ex-Präsident in neu gebauten Villen. Ich will wissen, ob man dem damaligen Mitarbeiter der Londoner ČSSR-Botschaft Glauben schenken kann. Spione sind professionelle Lügner, das wird schwer.

Sein rosa Haus wirkt schon einmal sympathisch. Ein eingemotteter roter Sportwagen wird von einer großen Topfpflanze blockiert. Ján Sarkocy steht gerade hinter dem versperrten Eisentor und verlangt von einem Zusteller, das Paket vor Annahme öffnen zu dürfen, »das letzte Mal war es beschädigt«. Dann lässt mich der 65-Jährige ein. Für zehn Minuten - er wird aber zwei Stunden plaudern.

Der Slowake fühlt sich geehrt, wenn man ihn als Spion anredet, »das ist eine schöne Arbeit«. Seine Vorfahren seien als »Kulaken« und »Dubček-Anhänger« verfolgt worden, »persönlich habe ich daher nie an den Sozialismus geglaubt«. Ganz im Gegensatz zu Corbyn, »der Marximus hat in England richtig gefetzt«. Er und Corbyn hätten 1986/1987 »Gefallen aneinander gefunden«, »er ist hochintelligent«, »er ist der nächste Premierminister.« - »Schaden Sie ihm mit Ihren Aussagen nicht?« - »Nicht ich habe das aufgebracht, der britische Geheimdienst MI6 hat die Akte aus dem Prager Archiv bekommen. Die Tschechen haben immer verraten, sie waren und sind Prostituierte.« Sarkocy meint, die Akte sei jetzt hervorgeholt worden, weil Corbyn die planlos in den Brexit segelnde Premierministerin Theresa May in Umfragen überholt habe.

Einiges, was mir Sarkocy mit entspanntem Ernst erzählt, könnte man für Angeberei halten: Er habe Winnie Mandela, Gustáv Husák und Lady Di persönlich gekannt, seine ČSSR habe das Wembley-Konzert für die Freilassung Nelson Mandelas finanziert und seine Londoner Botschaft habe den ersten Besuch Gorbatschows in Großbritannien eingefädelt. Auch hätten seine Kinder im Umfeld ihrer russischen Schule mit den Prinzen William und Harry gespielt, Margaret Thatcher habe sich bei ihm nach dem Kalten Krieg für seine Ausweisung entschuldigt, und mit einem Petersburger Vizebürgermeister namens Wladimir Putin habe er über die Sicherung des Exports slowakischer Schokolade gegen zugräuberische Karpatenbanden verhandelt - »ich habe ein Bild von Putin im Keller«. Das mag alles wahr sein, beurteilen kann ich es nicht.

Bei Themen, zu denen ich eigene Quellen und Kenntnisse mitbringe, kommt mir Sarkocy allerdings glaubwürdig vor: So etwa, wenn er den tschechischen Premier Andrej Babiš als Spitzel belastet, »der Berichte geschrieben hat, dass es eine Freude war. Ein Schriftsteller!« Oder wenn er sagt, dass die Mafiosi von der slowakischen Regierungspartei Smer-Sozialdemokratie Unternehmern eine Provision von 20 Prozent in Cash abpressen. Misstrauisch macht er mich mit einer Nebensache, der Herkunft seines Namens. Davon ausgehend, dass natürlich auch ich an den Namen des französischen Ex-Präsidenten Sarkozy denke, schreibt sich Sarkocy französische Wurzeln zu. »Das ist ein ungarischer Name«, wende ich ein. Er ruft rasch: »Ja, und meine Frau spricht Ungarisch!« Das wirkt, als zöge er gelegentlich der Wahrheit etwas vor, was sich als Wahrheit auf den ersten Blick anbietet.

Letzte Frage: Was sagt der Ex-Spion mit London-Vergangenheit zu Nowitschok? »Dieses Gift können Sie hier auf dem Küchentisch herstellen. Die Tschechen stellen es immer noch in Königgrätz her und verkaufen es fröhlich, auch in Syrien.« Wie die Corbyn-Causa hält er auch die Skripal-Affäre für »eine Provokation zwecks Verschlechterung der Beziehungen«. »Dass der Kreml dahintersteckt, ergibt für mich keinen Sinn.«

Als ich gehe, zeigt er mir noch einmal seinen abschüssigen Garten. Er ist so angelegt, dass immer etwas blüht, das ganze Jahr über. Sein Garten ist schön. Mehr zu bewerten bin ich nicht imstande.

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