Rubelsturz ohne Bilanzkrise

Turbulenzen an Moskauer Börse, doch Regierung lobt »absolut stabile« Wirtschaft

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Wechselstuben der russischen Hauptstadt werden seit Wochenbeginn Euro und Dollar knapp. In Moskau kündete ein Rubelkursverfall von rund zehn Prozent binnen Wochenfrist von Turbulenzen. Rund 80 Rubel mussten zuletzt für einen Euro hingelegt werden. Aus der Börse wurde ein Verfall der Aktienkurse gemeldet, bis wieder eine gewisse Stabilisierung eintrat.

Die Unsicherheiten sind sowohl politischer als auch ökonomischer Natur. Die Wirtschaftsexperten des Blattes »Wedomosti« verzeichnen eine »schnelle Reaktion des Marktes auf die neuerliche Verschärfung der Situation in Syrien«. Die Nervosität nehme angesichts der wachsenden Gefahr größerer Kriegshandlungen zu. Die »Obschaja Gasjeta« nennt die neuesten Sanktionen der USA gegen russische Unternehmen, Oligarchen und angeblich dem Präsidenten Wladimir Putin nahestehende Personen als Auslöser.

Sprachen auch manche Experten bereits von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland, wiegelte die Zen- tralbank noch ab. Auch Regierungschef Dmitri Medwedjew bevorzugt den Hinweis auf einen Vorteil der westlichen Attacken. »Wir haben gelernt, Herausforderungen umzuwandeln in Stimuli unserer Entwicklung«, bilanzierte er gleich seine ganze Amtszeit seit 2012 am Mittwoch im Bericht über das Jahr 2017 an das Parlament. Die vergangenen sechs Jahre seien eine Zeit der Eröffnung neuer Möglichkeiten gewesen. Der Duma versicherte Medwedjew: »Im Ganzen ist die Situation der Wirtschaft absolut stabil.«

Vorläufige Zahlen belegen Solidität, wenn auch ohne Überschwang. Zwischen 1,5 und zwei Prozent soll 2018 und 2019 die Wirtschaft wie schon im Jahre 2017 wachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steige wieder, wenn auch nicht so rasch wie gewünscht, die Inflation liege bei rund 2,5 Prozent und auch die Staatsverschuldung sei niedrig, freute sich Medwedjew. Allerdings räumte er auch Disproportionen und Schwierigkeiten in den Regionen ein. Doch vor die Rechenschaft des Premiers in der Staatsduma hatte der Präsident tags zuvor seine eigene Information, Wertung und Instruktion gesetzt: »Es ist nicht in allen Richtungen gelungen, alles 100-prozentig zu schaffen«, hielt er dem Weggefährten seit Leningrader Tagen vor. Dieser versicherte pflichtschuldig: »Wir werden das unbedingt analysieren, Wladimir Wladimirowitsch.«

Dies taten zuvor bereits einige Wirtschaftsexperten. So fragt Jewgeni Jassin in der Zeitschrift »Sobesednik«: »Raus aus der Krise - hinein in die nächste?« Erstmals seit vier Jahren sei 2017 das BIP wieder gewachsen, was erfreulich sei. Doch die Wirtschaft habe noch immer nicht wieder das Vorkrisenniveau von Mitte 2014 erreicht. »Wir befinden uns in einer Periode der Stagnation«, folgert er. Russland sei bereit für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Dazu müssten aber rasch die Probleme der Ökonomie gelöst werden. Namentlich sieht Jassin ein allzu großes Defizit an kleinen und mittleren Unternehmen, die lediglich einen Anteil von 20 Prozent am BIP hätten.

Nichts weniger als eine sofortige Reform der staatlichen Leitung fordert Alexej Kudrin, Chef des Zen- trums für Strategische Ausarbeitungen. »Unser Hauptfeind ist die Angst vor Veränderung«, klagt der frühere Finanzminister in einem Beitrag für die Zeitung »Kommersant«. Bei der Überwindung dieser Phobie müsse eine neue Regierung beispielhaft dem Land vorangehen. Vor allem müsse »Bildung zur nationalen Idee« werden, die vorwiegend Rohstoffe liefernde Wirtschaft zu einer modernen digitalen umgestaltet werden, deren Produkte global konkurrenz- und exportfähig seien. Derzeit stehen Rohstoffe wie Öl und Gas für rund 80 Prozent der russischen Exporte. Etwa zur Hälfte wird über Rohstoffe der Staatshaushalt finanziert.

Über eine weitere Quelle wird weiterhin nur inoffiziell gesprochen. So hieß es, dass Präsident Putin für seine Botschaft an die Nation am 1. März neben der Aufsehen erregenden Präsentation neuer Waffensysteme und der unumgänglichen innenpolitischen Grundorientierung einen dritten Abschnitt vorbereitet hätte. Dieser soll dem Kampf gegen Korruption gewidmet sein und eine Erhöhung der Einnahmen für den Staatshaushalt um 20 Prozent versprechen.

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