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  • Sozialdemokraten in der Krise

Stachel im Fleisch der SPD

Jusos wollen die Programmatik der Partei verschieben und stellen sozialpolitische Forderungen

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir haben keinen Bock mehr auf ein weiter so«, sagt Annika Klose, Vorsitzende der Jusos Berlin. Jetzt sei der richtige Moment für eine komplette Erneuerung der SPD. Die Jusos zeigen bei dieser Veranstaltung am Mittwochabend in der Zentrale der Bundes-SPD einmal mehr, dass sie deutlich radikalere Positionen als ihre Mutterpartei vertreten und damit im eigenen Laden zuweilen anecken.

Mit dabei ist auch Kevin Kühnert. Der Bundeschef der Jusos wurde als Gesicht der SPD-Bewegung gegen die Große Koalition bekannt. Letztlich stimmten aber 66 Prozent der Parteimitglieder für die Fortsetzung von Schwarz-Rot und die Jusos erlitten eine Niederlage. Doch die aufgeworfene Frage blieb, wie es mit der SPD weitergehen soll. Rund 250 Jusos sind ins Willy-Brandt-Haus gekommen, um darüber zu diskutieren.

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»Wer eine linksorientierte SPD will, darf jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken«, verkündet Klose zu Beginn der Veranstaltung auf dem Rednerpult. Direkt über ihr ruht die mahnende Hand der bekannten Willy-Brandt-Statue. Der »alte Tanker« - die Mutterpartei - müsse nun einen neuen Kurs bekommen, sagt Klose.

Das sieht auch Michael Hantzsche so. »Unsere SPD ist ehrwürdige 150 Jahre alt«, erklärt der Chef der Jusos Brandenburg. Das hieße auch, dass sie etwas träge sei. Nun müsse die europäische Sozialdemokratie eine wegweisende Entscheidung treffen. Solle sie weiter die neoliberale Politik mittragen oder müssten die Parteien endlich wieder zu einer progressiven Kraft werden? Für die Anwesenden ist die Antwort in Bezug auf ihre SPD eigentlich klar: Der Eintritt der Sozialdemokraten in die Große Koalition sollte eine linke Erneuerung der Partei nicht stoppen.

Kühnert will bei dieser Entwicklung eine zentrale Rolle spielen. »Wir werden diese Partei und die Gesellschaft verändern«, kündigt er an. Vor einem Jahr habe man erlebt, dass mit dem neuen Vorsitzenden Martin Schulz auch bei der SPD Dynamik in die Politik kommen kann. Kühnert zieht daraus die Schlussfolgerung, dass »linke Politik begeistern« könne. Dabei spielten vor allem junge Leute eine wichtige Rolle. Die damalige Euphorie unter Schulz habe jedoch nicht lange gehalten. Die SPD erreichte mit 20,5 Prozent ihr bisher schlechtestes Bundestagswahlergebnis.

»Die SPD ist verhaftet in Regierungslogik«, erklärt Kühnert. Für »Gute-Laune-Pressekonferenzen« sei nun kein Anlass. In Anbetracht der Aussagen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Innenressortchef Horst Seehofer (CSU) solle die Öffentlichkeit merken, dass die SPD »nur mit Zähneknirschen« in dieser Koalition sitzt. Doch dies sei bisher versäumt worden, kritisiert Kühnert. Dabei hatten die überheblichen Äußerungen von Spahn über Hartz-IV-Bezieher und die Behauptung Seehofers, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, auch so manchen Sozialdemokraten verärgert.

Der kürzlich vom SPD-Vorstand verabschiedete erste Entwurf zur Parteierneuerung gibt aus Sicht der Jusos zwar einen Rahmen für Veränderungen, er sei aber in vielen Punkten zu grob gesteckt. Kühnert kritisiert etwa die Passagen zur Hartz-IV-Gesetzgebung und insgesamt zur Agenda 2010. In dem Papier sei die Rede von »Nachbesserungen«. Das geht ihm nicht weit genug. Kühnert kündigt an, dass die Jusos demnächst selber Anträge für den Bundesparteitag am 22. April in Wiesbaden einbringen werden, wo neben der Wahl der neuen SPD-Vorsitzenden auch der Erneuerungsprozess der Partei eingeläutet werden soll. Dafür gibt es lauten Beifall im Saal.

Für Kühnert ist die Schaffung einer »solidarischen Gesellschaft« der Anspruch. Diesen habe die SPD bisher nicht erfüllt. Die Sanktionierung von Hartz-IV-Beziehern sei dabei ein Problem. »In einer Gesellschaft, in der es keine Grundsicherung gibt, möchte ich nicht leben«, so Kühnert. Auch hierfür erhält er lauten Applaus.

Im Papier sei zudem die Rede von »Korrekturen der sozialen Ungleichheit«. Das Ziel solle die »Überwindung« dieser Ungleichheit sein. Künftig würden sich die Jusos nicht mehr mit Programmen zufrieden geben, »die keine Antwort auf Verteilungsfragen geben«, verspricht Kühnert.

Die Herausforderungen, vor denen die SPD steht, haben auch eine internationale Dimension. Die Sozialdemokratie steht in vielen europäischen Ländern vor dem Zerfall. So kamen etwa die französischen Sozialisten (PS) zuletzt bei Wahlen nur noch auf einstellige Ergebnisse.

Der Jugendverband MJS hatte kürzlich beschlossen, sich von der Mutterpartei PS zu lösen und die Bewegung des ehemaligen sozialistischen Präsidentschaftskandidaten, Benoît Hamon, zu unterstützen. Die Ursachen für die Probleme von PS und SPD sind ähnlich. Die eingeladene MJS-Chefin Roxane Lundy erinnert an gebrochene Versprechen des Ex-Präsidenten François Hollande. Dieser habe mit einem sozialistischen Programm Wahlkampf gemacht, sei dann jedoch mit den Arbeitsgesetzen und anderen Verschärfungen einen neoliberalen Kurs gefahren.

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