Das absichtsfreie Spiel des Gedankens

Die Berliner Künstlerinnen Christine Düwel und Margret Holz in der Inselgalerie

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

In der bildenden Kunst waren immer jene Werke am schöpferischsten, bei denen zum kreativen, aber auch automatischen Bildfinden die Kontrolle, die Idee, die Konzeption hinzutrat, wobei natürlich die Wechselwirkung eine durchaus entscheidende Rolle spielt.

Mit solchen Arbeiten haben wir es bei den Bildhauerinnen und Grafikerinnen Christine Düwel und Margret Holz - bei Letzterer kommt noch die Fotografie hinzu - zu tun. Diese sind aus einem Denk- und Meditationsprozess hervorgegangen, aber mit Vernunftkontrolle und mit ästhetischen, ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. In ihren Arbeiten, die meist in Serien entstehen, finden sich Zeichen und Symbole, die bewusst und überlegt die ursprünglich traumhaft erlebte Vision ergänzen, bezeichnen und verdichten. Aus plötzlicher Assoziation wird ein durchdachtes Element weitergeführt.

»Bilder beziehen sich immer auch auf das Unsagbare, das Verborgene und das Unsichtbare«, sagt Christine Düwel. »Dennoch wollen sie sichtbar und erfahrbar machen.« In ihrer sechsteiligen Serie »Vortrag über etwas und nichts« (2017), auf Notenpapier collagierten Zeichnungen, verdampfen nebelhaft Farbtönungen von ausziehender, fesselnder Kraft über das Blatt.

Jedes Blatt hat ein unerschöpfliches Leben, schon in seiner bloßen Oberfläche. Hebung und Senkung, Linien wie Äderwerk, Lebenslinien, aufhörend und wieder einsetzend, höher oder tiefer, abgebrochen in dem leeren Schweigen ringsum. Solche Traumgesichte zu fangen in dem winzigen Augenblick, bevor alles wieder versinkt - das ist ihre Kunst. Die Synthese des Bildes als Ausdruck der menschlichen Existenz erreicht sie durch die Linie, die Struktur, das Zeichen, Form und Nichtform, Licht und Dunkelheit, das Einfarbige und Mehrfarbige, das Bewegte und das Unbewegte - in der Einheit eines flächenräumlichen Kontinuums.

Erst in diesem Jahr hat Düwel ihre »Nächtlichen Briefe« abgeschlossen, hochformatige Arbeiten, in der ihr die Phänomene Raum, Licht und Dunkel ein besonderes Anliegen sind, die die Materie in Bewegung und damit in Analogie zur Schöpfung halten. Sie gehen zurück auf das erst 1981 erschienene Tagebuch einer jüdischen Niederländerin, Etty Hillesum, die 29-jährig in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Die Linien, die sich durch die Ballung von Licht und Dunkel ziehen, lassen sich als Gleichnis auf das Leben, das Schicksal und deren Verflechtungen deuten.

In »Ph. I. 341« (2006), einer Collage aus der Serie »Zeichen in Rot« setzt die Künstlerin Zitate des Philosophen Ludwig Wittgenstein, für den die logische Struktur von Sätzen die logische Form der Welt zeigt, und Noten des britischen Komponisten und Musikers David Bedford ein, der seine Musik durch das Verschieben von Klangfarben und Texturen erzeugte.

Eine solche, an grafische Zeichen gebundene Darstellung von Bewegungsabläufen, Vibrationen und Klangbildern schafft Christine Düwel. Sie erinnern an Notenschriften oder choreografische Aufzeichnungen und verdeutlichen so eklatant die Systematik eines Ablaufs. Der von ihr fixierte Bewegungsablauf ist wie eine Partitur gegliedert, durch die Zeilen und Takteinlagen wird Bewegung simuliert, die sich auch aus dem Duktus aller einzelnen Zeichen ergibt, deren rasche Niederschrift erkennbar ist. Die Figuren wiederholen sich echoartig in ihre Form immer wieder neu (de-)formierenden Erscheinungen. Zeitablauf und Zeiteinteilung steigern sich so zu einem fixierten Momentanbild.

Margret Holz arbeitet seit 2007 an »Unbekannten Manuskripten« und entwickelt ihre eigenen Metaphern einer gestörten Welt. Sie reißt Raumfluchten auf und engt mit undurchlässigen Fassaden die Sicht wieder ein. In ihren großformatigen Holzschnitten »Stadtöffnungen« (2013) untersucht sie Himmelsausschnitte zwischen den Häuserwänden, Öffnungen zwischen den Straßenfluchten. Dabei dient ihr das Passagen-Werk von Walter Benjamin, an dem dieser von 1927 bis zu seinem Tod 1940 arbeitete, als Anregung und zugleich Fortsetzung von dessen Intentionen. Benjamin wollte die Lebenswelten der Metropole Paris erforschen, er war den Zeichen der Stadt auf der Spur. Erst durch die Zeichensphäre kann die Struktur der Welt erschlossen werden, weiß auch Margret Holz, und durch das Versetzen der Textbruchstücke in eine neue Formation kommen diese Zeichen bei ihr zu Bewusstsein. »Unbekanntes Manuskript Passage Pensées« (2017) hat sie, ihre die Buchstaben des Wortes »Pensées« variierenden, Siebdrucke genannt, die, auf weiße Folie übertragen, wie Handtücher an der Wand hängen und zur »Benutzung« einladen.

Andere »Unbekannte Manuskripte« hat sie als »Codes einer Stadt (-entwicklung)« bezeichnet. In einer Wandarbeit, einem Holzschnitt von 2013, ist die Darstellung grafischer Abläufe einem gemeinsamen Duktus untergeordnet, jedes Formzeichen zieht eine logische Folge weiterer Formzeichen nach sich, die sich den vorangegangenen in gestaltverwandter Parallelität angliedern. Die Formen jagen und verrätseln sich, Frequenzen, Anläufe, Abläufe, Rhythmen, Stauungen, Anschwellungen. Es entstehen Formsignale, Gestaltzeichen, ganze Erlebnisberichte. »Cauchemar (Alptraum)« (2010) wiederum wurde gezeichnet, ausgeschnitten, digital fotografiert und am Computer zu einem beängstigenden Motiv labyrinthischer Verstrickung entwickelt, das aus dem Schwarz des Bildgrundes hervorbricht.

Für beide Künstlerinnen gibt es keine strikte Trennung zwischen dem gegenständlichen und ungegenständlichen Bereich, in beiden Bereichen entwickeln sie eine Sprache von besonderer Sensibilität. Ihre Arbeiten fordern aber nicht nur den schauenden, sondern eben auch den mit- und weiterdenkenden Betrachter heraus.

Die neue Kabinettreihe der Inselgalerie wird durch die 90-jährige Berliner Künstlerin Regina Gebhard eröffnet - bekannt durch ihre Scherenbilder und Zeichnungen für die ABC-Zeitung und das Fernsehen der DDR -, die ihre freien Arbeiten vorstellt: abstrakte und satirische Collagen, Farb- und Linienkompositionen und Scherenbilder.

»Christine Düwel und Margret Holz«, bis zum 4. Mai in der Inselgalerie, Petersburger Str. 76A, Friedrichshain

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