Katzen auf der Couch

Wenn Haustiere zur Theraoie gehen

  • Lisa Forster, Königs Wusterhausen
  • Lesedauer: 5 Min.

Emmi hat Angst. Vor Kissen, vor Kopfberührungen, vor fast allen Menschen. Wenn jemand in den Raum kommt, macht sie sich unsichtbar. »Sie hat eine generalisierte Angststörung«, meint Birga Dexel. Dexel ist Therapeutin - allerdings nicht für Menschen, sondern für Katzen.

Heute ist sie zu Besuch bei einem jungen Paar in Königs Wusterhausen. Florian Kühnel und Melanie Erker haben die Katzentherapeutin kontaktiert, weil ihre zwei Haustiere sich nicht recht verstehen. Louis: zu temperamentvoll. Emmi: zu schüchtern.

Dass Menschen ihre Haustiere zum Therapeuten schicken, liegt im Trend. Es gibt Verhaltenstherapien für Katzen, Hunde, Pferde oder Vögel. »Vor 15 Jahren, als ich angefangen habe, wussten viele nicht, dass es sowas gibt«, sagt Dexel. »Jetzt ist es bekannter geworden.«

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte hält eine Verhaltenstherapie bei Haustieren grundsätzlich für sinnvoll. »Das Tier muss organisch gesund sein, so dass man sagen kann, es ist tatsächlich eine Verhaltensauffälligkeit«, sagt die Sprecherin Astrid Behr. »Dann macht es schon Sinn, zu einer Verhaltenstherapie zu gehen.«

Im Idealfall sollten die Halter zu einem weitergebildeten Tierarzt gehen, so Behr. Weil der Begriff des Tiertherapeuten nicht geschützt sei, solle man genau prüfen, ob das Angebot seriös ist.

Dexel selbst ist zwar keine Tierärztin, arbeitete früher aber unter anderem im Auftrag des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) für den Schutz bedrohter Tierarten, bevor sie Fortbildungen in Tiertherapie absolvierte. Zwischen 30 und 400 Anfragen bekomme sie pro Woche. Es seien immer dann besonders viele, wenn sie in den Vox-Sendungen »Hundkatzemaus«, »Katzenjammer« oder »3 Engel für Tiere« zu sehen ist. Nebenher bildet Dexel Katzentherapeuten in Deutschland, Österreich und der Schweiz aus. »Bald haben wir ein Netzwerk von Leuten zur Verfügung.«

Dass Halter inzwischen ihre Tiere zur Therapie bringen, entspricht für Birgit Pfau-Effinger »einer neuen sozialen Sensibilität« in unserer Gesellschaft - die sich auch auf unser Verhältnis zu Tieren erstrecke. Die Professorin leitet an der Universität Hamburg eine soziologische Forschungsgruppe zum Mensch-Tier-Verhältnis.

An der Tiertherapie lasse sich unser ambivalentes Verhältnis zu Tieren besonders deutlich ablesen. Menschen unterscheiden zwischen verschiedenen Kategorien von Tieren, wie Pfau-Effinger sagt: »Haustiere erhalten einen eigenen Namen und werden in das Alltagsleben der Familien einbezogen. Sie unterscheiden sich damit ganz grundsätzlich von den sogenannten Schlachttieren, die anonym in Ställen der Massentierhaltung aufwachsen, welche im Allgemeinen außerhalb der Ortschaften liegen.« Die einen werden vermenschlicht, die anderen geschlachtet.

Ihre Haustiere jedenfalls lieben die Deutschen. 31,6 Millionen Heimtiere gab es 2016 in Deutschland, wie der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands informiert. Darunter waren 13,4 Millionen Katzen. Die Katze ist demnach das häufigste Haustier - und wird immer beliebter: Um fast 70 Prozent ist die Zahl der Hauskatzen seit 2007 gestiegen.

Auch Kühnel und Erker lieben ihre Katzen - und sorgen sich. »Ihr müsst das systemisch betrachten«, gibt Dexel als Tipp. »Wie bei einer Familientherapie.« Die Therapeutin rät dem jungen Pärchen, ein Klickertraining mit den Tieren zu beginnen. Mithilfe eines kleinen Geräts, das ein Klickergeräusch macht, sollen gewünschte Verhaltensweisen bei den Katzen verstärkt werden. Jeder Klick ein Leckerli.

Louis müsse ausgepowert werden, damit er Emmi nicht stresse. »Er ist der Co-Therapeut und muss der Emmi helfen, aus ihrer Angst herauszukommen. Wir brauchen jetzt für die Emmi eine kontrollierte, stimulierende Atmosphäre.« Wenn sich Emmi dann irgendwann heraus traue, könne auch sie trainiert werden. »Ich kann nicht gleichzeitig den Fokus auf dem Klicker haben und auf der Angst.«

»Diese Angststörungen kommen immer wieder bei Katzen vor. Das ist menschengemacht«, sagt Dexel. Oft seien nicht die Tiere, sondern die Halter das Problem: Bevor die achtjährige Emmi zu ihren jetzigen Besitzern kam, wuchs sie in einem Messie-Haushalt auf, wie Erker erzählt. »Die Katzen haben sich unkontrolliert vermehrt und alles gefressen, was ihnen unterkam.« Emmi sei süchtig nach Schokolade, Erdnussflips und Chips. Ihre jetzigen Halter müssten all das vor ihr wegsperren. »Das waren früher wohl ihre Hauptnahrungsmittel«, meint Kühnel.

»Schlechte Kinderstube« nennt Dexel das. Erst danach kam Emmi zu Kühnel und Erker. Die beiden haben schon vieles versucht, um ihren Katzen zu helfen. Spiele oder Zerstäuber mit Pheromonen zur Beruhigung. Jetzt der Klicker.

»Du bist ein super Racker«, bestärkt Dexel Kater Louis. Im Laufe einer halben Stunde lernt der Neunjährige, über Kissen zu springen und durch Wasserflaschen Slalom zu laufen. Das fördere seine Konzentration, danach sei er zu ausgepowert, um Unsinn zu machen. Dazwischen gibt es Lob. »Ja fein!« »Zack, super, ja gucke mal!« »Das machst du ganz toll, du bist ein super Hecht, ein cleverer Hecht.«

Die Besitzer würden ihre Tiere vermenschlichen, sagt Dexel. »Das ist das Problem. Häufig schließen die Menschen von sich auf die Katzen und denken sich dann: Die will mich ärgern, die will protestieren. Das ist so ein Blödsinn. Menschen sind arrogant, Menschen sind hinterhältig. Menschen würden bewusst versuchen, jemanden zu provozieren.«

Katzen hingegen seien nicht so. »Katzen werden unsauber, wenn sie Stress haben. Die wollen den Haltern nicht irgendetwas heimzahlen.« Ob die Katzentherapeutin manchmal das Gefühl habe, sie therapiere eher die Halter, als deren Tiere? »Immer.« dpa/nd

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