Was sind schon 66 Millionen Jahre?

Sonderausstellung in Halle (Saale): »Klimagewalten - Treibende Kraft der Evolution«

  • Hubert Thielicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gletscher gehen weltweit zurück, der Meeresspiegel steigt, in Sibirien entstehen neue Sumpflandschaften. Skipisten werden mit Schneekanonen künstlich erhalten, der Weinanbau wandert weiter nach Norden - fast täglich erreichen uns Nachrichten über die schleichende Erwärmung der Erde. Dass Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan für den Temperaturanstieg verantwortlich sind, haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen. Inzwischen ist der Klimawandel gar Gegenstand der Weltpolitik. UN-Klimakonferenzen finden seit 1995 im Jahresrhythmus statt. Das 2015 abgeschlossene Übereinkommen von Paris soll die menschengemachte globale Erwärmung begrenzen. Notorische Leugner des Klimawandels wie US-Präsident Donald Trump sehen das anders, während insbesondere von Überschwemmungen bedrohte Küstenländer und pazifische Inselstaaten auf den Pariser Klimazielen beharren.

Das Klima hat sich seit jeher geändert. Geologen, Paläontologen und Archäologen betrachten diese Klimaschwankungen über Jahrmillionen, haben dafür vielfältige Ursachen ausgemacht - von Sonnenaktivität und Erdachsenwinkel bis hin zu Kontinentaldrift, Vulkanismus und Veränderungen in den Meeresströmungen. Die Ausstellung »Klimagewalten - Treibende Kraft der Evolution« in Halle (Saale) lädt zu einer Zeitreise über etwa 66 Millionen Jahre ein, also vom Beginn des Känozoikums an, der »Erdneuzeit«, als mit dem Einschlag eines großen Meteoriten das Zeitalter der Dinosaurier endete und der Aufstieg der Säugetiere anfing. Während das Klima zunächst noch sehr warm war, wurde es in den letzten 2,6 Millionen Jahren zunehmend unbeständiger; Warm- und Kaltzeiten wechselten sich ab, Pflanzen- und Tierwelt mussten sich immer wieder anpassen.

Schon die spektakuläre Installation einer Eiszeitszene im Foyer des Museums versetzt den Besucher mitten in diese Zeit: Ein Mammutbulle und ein Jungtier kämpfen mit zwei Höhlenlöwen, darüber kreisen bis hinauf zum Glasdach die Vögel. Anschaulich wird über wesentliche Aspekte der einzelnen Perioden des Känozoikums informiert: Erdoberfläche, Klima, Tierwelt, Vegetation, Regionales. Dann etwas besonders Interessantes für Kinder: »Papa, es gab mal Einhörner!«, ruft ein etwa fünfjähriges Mädchen. Das seien doch nur Sagen, wird es von der älteren Schwester belehrt. Die Ausstellungsmacher haben hier einen Abschnitt über Mythen eingeschoben. In früheren Zeiten konnten die Menschen mit Knochenresten urtümlicher Tiere wenig anfangen, interpretierten sie als mysteriöse Fabelwesen, eben Einhörner, Drachen, Zyklopen. Selbst in der Neuzeit kreierte so mancher Gelehrte aus unverstandenen Fossilien bizarre Kreaturen.

Bereits im nächsten Saal ist man klüger: Nach dem Aussterben der Dinosaurier besetzten die bis dahin zunächst nur rattengroßen Säugetiere die Freiräume, brachten im Laufe von Jahrmillionen ihrerseits riesige Vertreter hervor. Mit über vier Metern Schulterhöhe war das vor etwa 18 bis 3,6 Millionen Jahren in den Auenwäldern Eurasiens lebende Deinotherium giganteum, ein Rüsseltier mit abwärts gebogenen Schneidezähnen, eines der größten Landsäugetiere aller Zeiten. Durch die eiszeitliche Tundra stampfte vor vier Millionen bis etwa 11 700 Jahren Gräser und Zweige malmend das Wollhaarmammut, ein Paradebeispiel extremer Klimaanpassung.

Da hatte dann auch schon der Urmensch die Weltbühne betreten. Seiner Entwicklung widmet sich der Themenbereich der Primatenevolution von den frühen Lemuren über die Hominiden bis zu den Menschenarten, von denen letztlich nur der Homo sapiens überlebte. Zum ersten Mal reagierte mit ihm ein Lebewesen nicht mehr nur mit biologischer Anpassung auf klimatische Veränderungen, sondern gestaltete seine Umwelt aktiv. Er wandelte sich vom Gejagten zum Jäger, der mit seinen Jagdwaffen auch vor Raubtieren wie Säbelzahnlöwen oder Höhlenbären nicht zurückschreckte.

Von den frühen Künstlern jener Zeit zeugen figürliche Darstellungen wie eine Menschengruppe, geritzt in eine Rentierrippe, Frauenfigürchen oder das zierliche Frauenköpfchen von Dolni Vestonice. Dieses früheste bekannte Abbild einer konkreten Person kommt aus Tschechien; insgesamt stellten zehn Länder der hochkarätigen Ausstellung Exponate zur Verfügung, wie auch 19 deutsche Leihgeber. Nicht zuletzt profitiert die Schau von den zahlreichen Fundplätzen Mitteldeutschlands. Das Geiseltal (Saalekreis/Sachsen-Anhalt) ist einer der wichtigsten Fossilienfundorte aus der Zeit vor etwa 45 Millionen Jahren.

Im feuchten subtropischen Niederungswald tummelte sich eine reichhaltige Fauna - von Prachtkäfern über Urpferdchen bis zu Krokodilen, darunter das einzigartige Landkrokodil, ein aufgrund relativ langer Beine effektives Landraubtier. Schachtelhalme, Farne und Nadelbäume verrotteten zu Braunkohle, die bis vor Kurzem noch abgebaut wurde. Reichhaltiges Material über den altsteinzeitlichen Menschen erbrachten die Lagerplätze von Bilzingsleben (Thüringen) und Bad Kösen-Lengefeld (Sachsen-Anhalt). Im Tagebau von Schöningen (Landkreis Helmstedt/Niedersachsen) fanden sich Wurfspeere - mit etwa 370 000 Jahren die ältesten bekannten Jagdgeräte dieser Art aus Holz.

Wie könnte es weitergehen? Das Erdklima erwärmt sich rapide, in längeren Zeiträumen ist jedoch auch eine Eiszeit denkbar. Mit Ideen zu beiden Szenarien schließt die Ausstellung. Wer sich mehr über die Thematik informieren möchte, dem sei der informative Begleitband empfohlen.

»Klimagewalten - Treibende Kraft der Evolution«, bis zum 21. Mai im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle. Der von Harald Meller und Thomas Puttkammer herausgegebene Begleitband »Klimagewalten - Treibende Kraft der Evolution« ist im Verlag Konrad Theiss erschienen. Er umfasst 447 Seiten und kostet 39,95 Euro.

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