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Blitzlichtgewitter und Stummfilmtheater

Die »Expat Expo« bringt bis Samstag das Berliner Leben internationaler Zugewanderter auf die Bühne

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 3 Min.

Im idyllischsten Hinterhof des Bergmannkiezes finden sich die Räumlichkeiten des English Theatre, eine der besten Anlaufstellen für englischsprachige Unterhaltung in Berlin. Dort findet seit vergangenem Sonntag die bereits sechste »Expat Expo« statt, logischerweise in englischer Sprache. Im Fokus stehen an die 60 internationale Künstlerinnen, die Berlin zu ihrer Wahlheimat gemacht haben, unter dem Motto »ExpLoRE« machten am Sonntag Newcomer auf sich aufmerksam und gaben ihren Einstand auf der Kreuzberger Kulturbühne.

Den Anfang machten Iva Topolovec, ursprünglich aus Kroation, und Salber Williams, mit portugiesisch-simbabwischen Wurzeln, mit ihrer Performance »Integrate’er«. Sie konfrontierten sowohl sich selbst als auch das Publikum mit Sprachbarrieren, Vorurteilen und den alltäglichen Problemen in Liebe, Beziehung und Wohngemeinschaft. Was bedeutet Integration, was bedeutet sich integrieren für junge Migrantinnen in Berlin? Erfrischend ehrlich, ganz getreu dem Motto »Show, don’t tell!«, lag der Schwerpunkt nicht auf großen Schockeffekten und dem automatisierten Ablesen von politischen Manifesten, sondern auf subtiler Darstellung und Mimik. Zu Recht wurden die beiden mit dem fulminanten Applaus eines begeisterten Publikums bedacht.

Verhaltener waren da schon die Reaktionen auf die zweite Vorstellung des vielseitigen Theaternachmittags: »Gruesome Manifesto« der Künstlerin Cher Nobyl. Man kann von Glück reden, dass die geradezu naiv verkürzte Kapitalismuskritik dieses »Furchtbaren Manifestes« im viel zu lauten Donnern bedrohlicher Musik beinahe unterging, ansonsten müsste man dem Inhalt böse Absicht unterstellen. Die Forderung nach Sturz von Liberalismus, Monarchie und Demokratie als solcher in Verbindung mit einer Beschwörung von Harmonie und Schönheit kam einer Ästhetik nahe, die einen Ernst Jünger begeistert hätte. Ein Schockeffekt jagte den nächsten, bis alles in einer Blitzgewitter-Lichtshow unterging, der jede Epileptikerin ins Grab gebracht hätte. Nichts, was man nicht schon unzählige Male gesehen hätte, eine weitere Performance großer Worte.

Mit weitaus weniger Worten kam hingegen Katie-Rose Spence aus. Als »Brunch Lady« überzeugte sie das Publikum mit einer humoristischen Vorstellung, die so weniger gesprochener Worte bedurfte, dass man sich sofort an Stummfilmklassiker à la Charlie Chaplin oder Laurel und Hardy erinnert fühlte. Wahllos pickte sie sich einen Zuschauer aus der Menge, der mit ihr einen teils fast schon vulgären Brunch genießen durfte. Das Stück bestach weniger durch seinen Inhalt als seinen wirklich erfrischenden Humor. Spence ermöglichte dem Publikum ein befreites Lachen, das an diesem Punkt des Nachmittags höchst ersehnt schien.

Eine gar an Shakespeare erinnernde Vorstellung bot am Dienstagabend die unmittelbare Nachbarschaft des English Theatre dar. In »When I Was Old /When I Get Young« von Regisseurin Lucy Ellinson standen Anwohnerinnen aus aller Welt auf der Bühne und sagten: nichts. In Anlehnung an Shakespeares »Seven Ages of Man« erzählen junge und alte Wahlberlinerinnen Geschichten über Herkunft, Heimat und die Veränderungen des eigenen Körpers. Die Monologe kommen vom Band, während die Darstellerinnen fast vollkommen still auf der Bühne stehen. Die Performance konstanter Narration verfremdet den Theaterakt für die Zuschauerinnen um jenen Grad, der sie dazu zwingt, ihre Augen nicht vom Geschehen, oder »Nicht-Geschehen«, lassen zu können.

So ist man den folgenden eineinhalb Stunden auf Verderb und Gedeih den inhaltlich diversen Monologen ausgesetzt. Diese sind eigentlich spannend und aussagekräftig, humor- und liebevoll. Sie werden aber ganz nüchtern vorgetragen, ohne die Zuschauerinnen mit einem Spannungsbogen für die ihnen abverlangte erhöhte Aufmerksamkeit zu entschädigen. Das ließ viele im Publikum, nicht nur eine desinteressierte schweizerische Schülergruppe auf Klassenfahrt, dann doch etwas ratlos zurück.

»The 6th Expat Expo« läuft mit täglichen Terminen noch bis 28. April im English Theatre Berlin, Fidicinstr. 40, Kreuzberg; www.etberlin.de

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