Neo-osmanischer Wahlkampf

Erdogan will um die Stimmen der Auslandstürken in Bosnien-Herzegowina werben

  • Elke Windisch, Dubrovnik
  • Lesedauer: 3 Min.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan kommt in der zweiten Maihälfte nach Sarajevo zu Besuch, berichtet die Zeitung »Hürriyet«. Das stets gut informierte türkische Massenblatt galt lange als eines der letzten unabhängigen Medien, gehört seit kurzem jedoch der Demirören Holding, die Erdoğan nahesteht. Am vergangenen Donnerstag, auf dem Rückflug vom Besuch in Südkorea, äußerte dieser sich höchstselbst zum Thema. Der Grund: Im Juni finden in der Türkei vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen statt. Weil Erdoğan damit offenbar den Übergang zum Präsidialsystem beschleunigen will haben mehrere EU-Staaten Wahlkampfveranstaltungen auf ihrem Gebiet untersagt. Angesichts dieses »Kesseltreibens«, so zitierte ihn ein Korrespondent von US-Auslandssender Radio Slobodna Evropa, der mit an Bord der Präsidentenmaschine war, »tun wir uns lieber mit unseren Freunden in Bosnien-Herzegowina zusammen und gehen mit unseren Bürgern dorthin«.

Kritische Beobachter in Bosnien-Herzegowina (BiH) ringen daher um Fassung. Das Staatspräsidium, die kollektive Führung, die aus je einem Vertreter der drei Staatsvölker - muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben und katholische Kroaten - besteht, weiß angeblich nichts von Erdoğans Luftlandeoperation. Auch Außenminister Igor Crnadak und dessen Diplomaten in der Botschaft in Ankara mussten passen. Ebenso die türkische Botschaft in Sarajevo.

Erdoğan, erregte sich der Politikwissenschaftler Slavo Kukić aus Mostar, nehme BiH offenbar nicht als souveränen Staat, sondern als Paschaluk - als türkische Provinz - wahr, in der er tun und lassen könne, was ihm beliebt. Kukić und Kollegen fürchten nicht nur außenpolitischen Flurschaden durch Erdoğans Visite - für konkrete Beitrittsverhandlungen mit der EU muss Bosnien auch seine Außenpolitik mit der Europas abstimmen. Heikel ist die Visite auch aus innenpolitischen Gründen.

Für Oktober sind auch in Bosnien/Herzegowina Wahlen geplant. Wahlen, bei denen sich das zerrissene Land womöglich definitiv in seine ethnischen Bestandteile zerlegt. Das 1995 von der internationalen Gemeinschaft vermittelte Dayton-Abkommen, so Politikwissenschaftler Emir Habul aus Sarajevo, habe zwar den blutigen Bosnienkrieg beendet und eine Nachkriegsordnung etabliert. Deren Transformation zu einer Friedensordnung und das »nation building« - die Herausbildung einer gemeinsamen Identität - seien jedoch misslungen.

In der Tat: Serben - 33 Prozent der Gesamtbevölkerung - und Kroaten - 17 Prozent - streben nach Anschluss an die jeweiligen Mutterländer. Deren Regierungsparteien sind mit Ablegern im bosnischen Parlament vertreten. Auch die Partei der Demokratischen Aktion (SDA), die sich um einen multiethnischen Anstrich bemüht, vertritt knallhart die Interessen der Bosniaken und sucht den Schulterschluss mit Erdoğans AKP. Beide Parteiführer und deren Familien sind persönlich eng befreundet und stehen einander stets in Wahlkampfnöten bei.

Schon Parteigründer Alija Izetbegovic, einer der Dayton-Unterzeichner, huldigte dem starken Mann vom Bosporus als künftigem Führer einer regionalen Großmacht. Sohn Bakir, der jetzt für die Bosniaken im Staatspräsidium sitzt, stellte sich 2016 nach dem Putschversuch in Ankara kompromisslos hinter den Türken, fand kein Wort der Kritik an Erdoğans Hexenjagd auf vermeintliche Regimegegner und ging mit gleicher Härte wie dieser gegen Anhänger von Gegenspieler Gülen in Bosnien vor. Im Oktober 2017 behauptete er sogar, sein Vater habe Erdoğan Bosnien als Vermächtnis hinterlassen. Der so Bedachte widersprach nicht.

Zwar gehört auch Ankara zu den Garantiemächten für Dayton. Türkische Politiker stellten die territoriale Integrität Bosniens offiziell daher nie in Frage. Bei einer Abspaltung von Serben und Kroaten hieße der Hauptgewinner dennoch Erdoğan. Rumpfbosnien mit dann eindeutig muslimischer Bevölkerungsmehrheit spielt - so wie Serbien für Russland - eine Schlüsselrolle in den Plänen von Erdoğan und seinen Neo-Osmanen für die Restaurierung türkischen Einflusses auf dem Balkan.

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