Lobenswerter Widerstreit

In einer Dauerausstellung zeigt das Kunstmuseum Moritzburg in Halle (Saale) Werke, die in der DDR entstanden sind

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 4 Min.

Welch Gewinn wäre es, hier nicht bloß darüber informieren zu können, dass noch bis zum 21. Mai im Obergeschoss des Museums Barberini die Bilder des Palastes der Republik ausgestellt sind, sondern dies dauerhaft und an fester Stelle seien! Da dies nicht der Fall ist, sollte man zumindest die Potsdamer Ausstellung nicht verpassen. Es ist beeindruckend, darin die großartige Vielfalt und künstlerische wie inhaltliche Substanz der Kunst aus der DDR erneut vor Augen geführt zu bekommen.

Ein lobenswerter Widerstreit, die Bilder aus DDR-Zeiten nicht mehr in die Magazine zu verbannen und ihre Delegitimierung also zu beenden, geht indessen von Halle (Saale) aus. Der Direktor des dortigen Kunstmuseums Moritzburg, Thomas Bauer-Friedrich, setzt der Ignoranz eine historische Verortung entgegen. Damit sei das von ihm geleitete Museum das »derzeit einzige Museum im Osten, das sich auf Dauer zu seiner DDR-Sammlung bekennt«.

Aus dem musealen Wandsystem tritt die offene Bildwelt »Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945 bis 1990«. Dieser abschließende zweite Teil der Dauerausstellung setzt im »historisch wie regional-geografisch gewachsenen Profil« (Info-Tafel) die von Max Sauerlandts und Alois Schardts Blick auf die klassische Moderne geprägte Sammlungsauswahl aus der Zeit nach 1885 fort, die im modernen westlichen Erweiterungsbau präsentiert wird. Damit gewinnen die Besucher ihr Museum zurück.

Mich berührt tief, in meine Biografie eingeschlossene Bilder wiedersehen zu können, so Eugen Hoffmanns goldene Bronze »Das Leben«, 1949/50 (posthumer Nachguss), Walter Arnolds großartige Holzskulptur »Leid« von 1946, Herbert Stockmanns hoffnungsvolles Gemälde »Die Ersten«, 1946/47 oder Carl Crodels »Mythologische Szene« von 1946/47. Von anmutiger Farbigkeit und voll tief empfundener harmonisch-heiterer Stimmung ist der antifaschistische Rückblick Werner Tübkes auf die »Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze II« (1965).

Zu nennen ist insbesondere auch Wolfgang Mattheuers bedeutendes Gemälde »Kain« von 1965, das eventuell durch den Trick Heinz Schönemanns, sich vom Ministerium für Kultur die Kaufsumme zu erbitten, die Jury der VI. Deutschen Kunstausstellung passieren konnte. Ein Bild vom biblischen Brudermord, das die Kongo-Ereignisse reflektierte, aber vom Vorbildschema abwich, um sich aus den Niederungen des abbildhaften »sozialistischen Realismus« zu prägnanter, sinnschichtenreicher Bildhaftigkeit zu erheben. Dieser Qualität folgten Uwe Pfeifer mit »Abgerissener Drache«, 1976 und Baldur Schönfelders mit seiner Antikriegsskulptur »Nike I« von 1981.

Die Ausstellung würdigt neben künstlerischen Leistungen auch die Arbeit der Museumsdirektoren nach 1945, deren Sammeltätigkeit anerkannt wird, zudem die von Thomas Bauer-Friedrich selbst, der die Sammlung zwar perspektivisch öffnen, doch nicht mit den sonst überall zu sehenden Werken von (West-)Künstlern zwanghaft »korrekt« und langweilig machen will. Es ist vor allem eine Präsentation der Kunst von Halle (Saale), der, wie Fritz Löffler im Jahre 1949 feststellte, »vitalsten Stadt [...] in der ostzonalen Malerei«.

Die klassische Moderne lehrten an der Kunstschule Burg Giebichenstein die an den früheren Wirkungsort zurückgekehrten Lehrer Charles Crodel und Erwin Hahs, nach 1945 weiterhin Gustav Weidanz und Karl Müller. Dazu der Kreis um Hermann Bachmann mit den Malern Jochen Seidel, Fritz Rübbert, Kurt Bunge, Ulrich Knispel, Herbert Kitzel, Willi Sitte sowie den Bildhauern Mareile Kitzel und Waldemar Grzimek. Die ausgestellten Werke lassen fragen, warum sie als »bürgerlich-dekadent« und »formalistisch« zurückgewiesen wurden und warum sie nach 1990 eine »neuerliche Ächtung« erfahren mussten.

Ein entscheidendes Jahrzehnt lag zwischen den politischen Ereignissen von Ungarn und Prag. In jener Zeit, von 1958 bis 1968, war Heinz Schönemann Moritzburgdirektor und erwarb besondere Werke. Er bekennt: »Ich hatte durchaus den Ehrgeiz, mich dem legendären Glanz der halleschen Sammlung unter Sauerlandt und Schardt wieder zu nähern. Dazu gehörten auch Ankäufe, Verluste auszugleichen und Lücken im frühen 20. Jahrhundert zu schließen.«

Wie bei Kunst der DDR üblich, springt ein zeitgleiches Zusammentreffen verschiedener künstlerischer Formen mit besonderer Rezeption historischer und moderner Kunststile ins Auge, ob Expressionismus (Bernhard Heisig, Wolfram Ebersbach, A. R. Penck) oder Neue Sachlichkeit (Uwe Pfeifer, Clemens Gröszer, Norbert Wagenbrett), Pop Art (Wasja Götze, Willy Wolff, Hans Ticha) oder abstrakte Kunst (Hermann Glöckner, Horst Bartnig, Günther Hornig). In einer einzigartigen Auswahl sind in der Ausstellung Plastiken Theo Baldens, Will Lammerts, Waldemar Grzimeks, Werner Stötzers, Wieland Försters, Sabina Grzimeks und Friedrich B. Henkels zu sehen, dazu die Stahlmontagen Irmtraud Ohmes, Hartmut Bonks Figurengruppe »Zivilisierte Welt« (1977/78) oder Medaillen Bernd Göbels.

Es wurde in Halle Kunst gesammelt, damit wir sehen, wie die Künstler in ihrer Zeit gegenüber dem staatlich propagierten Realismus ihre Kunstformen individuell ausprägten. Die heutigen Museumsüberlegungen suchen nach Möglichkeiten, die Kunst aus der DDR für eine neue Rezeption zu öffnen - auch für jene Besucher, die nicht in der DDR sozialisiert worden sind.

»Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945 bis 1990«, Dauerausstellung im Kunstmuseum Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, Halle (Saale)

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