Aufklärung vor Datenschutz

Bundesgerichtshof: Dashcams vor Gericht als Beweismittel zugelassen

  • Lesedauer: 3 Min.

Wer eine sogenannte Dashcam im Auto hat, darf sich nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes nun etwas sicherer sein, dass ihre Aufnahmen nach einem Unfall als Beweis zugelassen werden.

Von Grit Gernhardt

Über 3,2 Millionen Ergebnisse bekommt, wer auf der Videoplattform Youtube den Begriff Dashcam eingibt. Mit den kleinen Videokameras, die meist an der Windschutzscheibe oder auf dem Armaturenbrett eines Autos angebracht werden, kann man so ziemlich alles aufzeichnen, was sich während der Fahrt auf der Straße abspielt. Besonders in Russland sind die Minikameras verbreitet, doch auch hierzulande erhoffen sich immer mehr Nutzer durch die Aufzeichnungen mehr Sicherheit im Falle eines Unfalles. Zwar besitzen erst acht Prozent der Autofahrer eine Dashcam, doch laut einer Umfrage des Automobil-Clubs Verkehr (ACV) würden 44 Prozent der Bundesbürger sich eine anschaffen, wenn ihre Nutzung gesetzlich geregelt und legal wäre.

Eine Lösung für dieses Problem ist mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom Dienstag näher gerückt. Das oberste Bundesgericht entschied im Sinne eines Autofahrers aus Sachsen-Anhalt, der Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel vor Gericht nutzen wollte, um mehr Schadenersatz vom Unfallgegner zu erstreiten. Das Landgericht Magdeburg hatte das mit Verweis auf Datenschutzbestimmungen und allgemeine Persönlichkeitsrechte jedoch abgelehnt - der Fall ging an den BGH.

Dieser erließ nun ein Grundsatzurteil, in dem das Interesse des Unfallgeschädigten an Aufklärung höher bewertet wurde als das Datenschutzinteresse und das Recht am eigenen Bild des Unfallgegners. Da sich Letzterer im öffentlichen Raum befunden habe, habe er sich der »Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt«, so die Richter. Auch seien nur Vorgänge gefilmt worden, die ohnehin für jedermann wahrnehmbar seien.

Wer nun denkt, Autofahrer könnten in Zukunft immer und überall filmen, irrt aber. Anlasslose und permanente Videoaufzeichnungen sind laut dem Urteil weiter unzulässig, da die betroffenen Personen nicht in die Aufnahmen eingewilligt haben. Solche Vergehen gegen Datenschutzbestimmungen können also auch weiter als Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat gewertet und mit Geldbußen belegt werden.

Laut dem Anwalt des Klägers, Volkert Vorwerk, bringt die Rechtsprechung die Dashcam-Besitzer demnach weiter in schwierige Situationen: Bei einem Unfall könne etwa der Unfallgegner die Polizei auf die Kamera im anderen Auto hinweisen. Dessen Besitzer könne die Aufnahmen zwar vor Gericht verwenden, müsste aber eine Strafe befürchten, falls die Kamera im Dauerbetrieb lief.

Um solche Probleme zu verhindern, muss wohl die Technik überarbeitet werden. Der BGH gibt in seinem Urteil immerhin einen Hinweis, wie diese Kameras künftig auszusehen haben. Es sei »technisch möglich«, eine »kurze Aufzeichnung des unmittelbaren Unfallgeschehens zu gestalten« - etwa durch ein »dauerndes Überschreiben in kurzen Abständen und Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeugs«.

Der ACV plädiert für Geräte mit einem standardisierten Aufnahmemodus, »der die Auslesbarkeit der Daten erst durch eine gerichtliche Anordnung ermöglicht« sowie die Aufzeichnung schnell wieder überschreibt und löscht. Denkbar seien zudem Dashcams an der Rückscheibe von Autos, die per Knopfdruck »gefährliches Drängeln und zu dichtes Auffahren« aufzeichnen.

Eine allgemeine gesetzliche Regelung zur Nutzung der kleinen Kameras steht allerdings weiter aus. So ist unklar, ob die Polizei nach einem Unfall den Dashcam-Besitzer zur Herausgabe der Aufnahmen zwingen darf. Im Zweifelsfall würden so Fußgänger oder Radfahrer als schwächste Verkehrsteilnehmer benachteiligt, schrieb der Grünen-Verkehrsexperte Matthias Oomen am Dienstag auf Twitter. »Wenn Beweismittel vorhanden sind, sollten die polizeilich eingezogen werden können, völlig egal ob Autofahrer*innen zustimmen oder nicht.«

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