»Kannste nix von sagen!«

Himmlische Begegnungen zwischen Weser und Teutoburger Wald. Von Manfred Lädtke

  • Manfred Lädtke
  • Lesedauer: 5 Min.

Bestimmt gibt es wuchtigere Klöster, die Besuchererwartungen an imposante Gemäuer erfüllen. Trotzdem würde ein Ostwestfale feststellen: »Kannste nix von sagen!« Weil nirgendwo in Deutschland mehr Klöster auf engstem Raum stehen als in der Region Höxter.

Was jedoch lange fehlte, war ein überschaubares, zielweisendes Wegenetz. Nun schlängelt sich zwischen Teutoburger Wald und Weserbergland eine 185 Kilometer lange Klosterroute zu den 28 Orten der Spiritualität. Deren Vernetzung war eine logische Folge des Ritterschlags für die ehemalige Reichsabtei Corvey zum Weltkulturerbe im Jahr 2014.

Eine schnurgerade Allee führt im touristischen Neuland Ostwestfalens zum Schmuckstück von Corvey nahe Höxter. Am Ende der Straße erhebt sich die fast 900 Jahre alte Abteikirche mit ihren markanten Doppeltürmen. Das symbolträchtige Westwerk haben die Baumeister als imposanten Kirchenraum vor die Basilika gestellt.

Unter einem Torbogen wartet Josef Kowalski. »Früher siedelten hier heidnische Sachsenstämme. Ab dem 9. Jahrhundert war der Sitz von Benediktinermönchen dann Missionszentrum für die Verbreitung christlicher Religion in Nordeuropa«, empfängt der Klosterführer seine Gäste. Erst der Dreißigjährige Krieg habe das Kloster bis auf das trutzige Westwerk zerstört, erzählt er weiter. Beim Wiederaufbau im 17. Jahrhundert sei schließlich die schlossähnliche Anlage mit der Fürstlichen Bibliothek entstanden.

Irgendwann weckte der Bücherschatz auch das Interesse Hoffmann von Fallerslebens. Als der Dichter des Deutschlandliedes in Höxter eine Stelle als Bibliothekar antrat, missfiel ihm die »grauenhafte Menge an Romanen«, die der Germanist einen »Krebsschaden der Bibliothek« nannte. Das sollte sich ändern. Als Hoffmann von Fallersleben 1874 im Alter von 75 Jahren starb und neben der Abteikirche begraben wurde, hatte er die Sammlung mit 74 000 wissenschaftlichen Werken und prachtvoll illustrierten Ansichtsbänden zu einer der kostbarsten Privatbibliotheken Deutschlands ausgebaut. Das rote Sofa, auf dem der guten Zigarren und edlen Weinen aus dem Rheingau nie abgeneigte Genussmensch oft und gerne ausruhte, ist heute Blickfang in seinem einstigen Arbeitszimmer.

Den Westfalen sagt man nach, sie seien Dickschädel. Dass dies eine hilfreiche Tugend beim Ringen um einen Eintrag des Klosters in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes war, will Kowalski nicht von der Hand weisen. Jedenfalls durfte er nach der Aufnahme von Corvey in das Erbe der Menschheit viele von den bisher fast 200 000 Besuchern hinter die alten Mauern führen.

Wenn Corvey, warum dann nicht auch andere Klöster mit Radwegen zu Ausflugszielen verbinden? Die Touristiker sahen die Zeit für eine heilige Allianz in der Region, wo sich bislang nur Fledermaus und Hase Gute Nacht sagten, gekommen. Manchmal winden sich die Wege durch uralte Laubwälder der romantischen Hügellandschaft im Weserbergland. Am stimmungsvollsten ist eine Radtour am Morgen. Wie schlafgelähmt liegen dann die Wälder im Licht der frühen Sonne, nur ein paar kreischende Krähen flattern durch das Idyll.

Wer eine andere Landschaftsper᠆spektive bevorzugt, nutzt bei Corvey den beschaulichen Wasserweg der Weser für einen Ausflug nach Beve᠆rungen-Herstelle. Über dem Fluss thront die Benediktinerinnen-Abtei vom Heiligen Kreuz. Der moderne Neubau mit Souvenirladen neben der Bartholomäus-Kirche wirkt zunächst befremdlich auf jene, die hier Alltag und Kommerz entfliehen wollen. Auf den ersten Blick erinnert nichts an »ora et labora«. Die Zimmer sind zweckmäßig eingerichtet, das Frühstück ist überschaubar, aber ausreichend. »Unsere Gäste sollen hier zur Ruhe kommen«, sagt Schwester Lucia. Biblische Veranstaltungen seien ein unverbindliches Angebot für die innere Einkehr. »Manchmal öffnen sich ganz tief in der Seele verschlossene Kammern, oder längst verschwommene Bilder gewinnen wieder Konturen«, hofft die Benediktinerin. Manch einem Pilger mag es da schon genügen, jene Atmosphäre und Reduziertheit eines Tages wiederzuerleben, wie sie ihn in unbekümmerten Jugendjahren in Landschulheimen begleitet haben.

Fotografien in einem Mini-Museum zeigen, dass viele Klöster wie vor der Säkularisation wieder ertragreiche Wirtschaftsbetriebe sind und von Nonnen und Mönchen weit mehr verlangt wird, als andächtig auf einer harten Bank zu sitzen und zu beten. Die Bilder dokumentieren eine Glaubenswelt mit Pflichten im Maschinenraum, in der Küche oder Kerzenwerkstatt, im Büro, Garten oder Souvenirladen.

Am Weserufer verläuft die Ferienstraße weiter zu den Koptischen Christen (Kopte = Ägypter) in Brenkhausen. Vor der ehemaligen Klosterruine winkt Anba Damian seine Gäste heran. Im Refektorium des Koptenklosters bittet der Mann mit grauem Rauschebart und einem Kreuz aus Ziegenleder um den Hals an eine Kaffeetafel. Der Repräsentant der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland spricht über Flüchtlinge, denen man nicht mit dem Gesetzbuch, sondern mit Herz und Verstand begegnen soll, und meint, dass Muslime zwar zu Deutschland gehören, die Lehre des Islam aber dem Grundgesetz widerspreche. Vor 1000 Jahren waren 50 Prozent aller Ägypter Christen. Heute seien Kopten eine Minderheit und würden als Bürger zweiter Klasse gelten, berichtet der Bischof.

Letzte Ausfahrt Marienmünster. An einem See ragen weithin als sichtbare Zeichen des Glaubens die Türme der Abtei in den Himmel und lassen keinen Zweifel an der richtigen Fahrtrichtung. Frühere Schaf- und Pferdeställe in der barocken Anlage sind heute gefragte Orte für Konzerte und Theater. Die Verwandlung des Sühneklosters in ein »Kloster der Klänge« lässt die Kassen klingeln. Schon wenige Monate nach dem Umbau durfte die Kulturstiftung drei Kreuze machen: Bildungs- und kulturbeflissene Gäste kommen regelmäßig mit dem Fahrrad, in Wanderschuhen oder mit dem Auto zu den Klosterfestivals mit Instrumental- und Chorkonzerten.

Doch auch wenn die prächtige Barockorgel schweigt, tun Reisende gut daran, diesen Knotenpunkt der neuen Klosterroute nicht links liegen zu lassen. Zum einen, weil in dem multimedialen Informationszentrum Besucher durch gezieltes Betreten einer auf den Boden projizierten Landkarte Filme über Vergangenheit und Gegenwart der Klöster abrufen können. Zum anderen, um sich im historischen »Klosterkrug« weltlichen Genüssen wie Mönchsspieß, Wildschweinsülze oder Westfalenkrüstchen hinzugeben.

Infos

www.kreis-hoexter.de www.klosterregion.de

Veranstaltungen: Klosterfestival und andere Veranstaltungen auf Freilichtbühnen und in Kirchen: www.kulturland.org

Literatur: »Kulturland Kreis Höxter«, Verlag Publicpress, 192 Seiten mit Fotos, Karten, Rad- und Wanderrouten sowie Adressen, 9,99 €.

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