Die Rache läuft ins Leere

Deutsche Oper: Rolando Villazón inszenierte »Die Fledermaus« von Johann Strauß, Dirigent: Donald Runnicles

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Bürgerlich-aristokratisches Milieu instrumentiert die in der Welt unzählige Male gespielte »Fledermaus« von Johann Strauß (1874). Es geht um eine Vergeltungsaktion. Der Notar Dr. Falke, als Fledermaus verkleidet, wurde auf einem Ball schwer kompromittiert, so die Vorgeschichte. Gabriel von Eisenstein hatte ihn in den Park gestoßen, und Falk musste unterm Gespött der Leute in seinem Kostüm nach Hause laufen. Rache ist angesagt, und die drei Akte der Operette zeigen, wie sie über vielerlei Verwechslungen und interpersonale Turbulenzen ins Leere läuft.

Der erste Akt mischt die Karten. Ort: das herrschaftliche Zimmer jenes Gabriel von Eisenstein. Figuren tauchen auf. Rosalinde, die Adelsgattin, Adele, die Zofe, der Anwalt Dr. Blind. Der, ständig im Rückwärtsgang (Jörg Schörner), gilt als Versager, weil er unfähig gewesen sei, die Gefängnisstrafe seines Klienten Eisenstein wegen Beamtenbeleidigung zu verkürzen. Das Gespenst des Gefängnisses ist die ganze Operette über im Spiel. Daraus hätte Spektakuläres, die Verhältnisse Angreifendes gemacht werden können. Regisseur Rolando Villazón mit seiner Gestaltungscrew verzichtet darauf.

Adele - Nicole Haslett singt sie prächtig - ist die volkstümlichste Figur unter den Protagonisten. Die Vergnügung lockt. Sie will mit einer Freundin unbedingt zum Ball, zu dem Fürst Orlowsky (hier eine Dame) eingeladen hat. Alle sind geladen, alle wollen zum Ball, weg von der Langeweile des Tageslaufs. Rosalinde, so unschuldig wie listig gesungen von Annette Dasch, empfängt einen früheren Geliebten namens Alfred. Enea Scala spreizt sich als italienischer Heldentenor schon hinter der Bühne und bestürmt seine Freundin nicht, bevor der Gatte aus dem Zimmer ist. Die Polizei kommt und nimmt auf diskretes Anraten der Hausherrin Alfred statt Eisenstein in Gewahrsam. All das hübsch vollführt, umgeben von Stilmöbeln der Handlungszeit, neckischen Kostümchen, Blümchen, Handküsschen, lieblichen und bösen Blicken (Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck).

Dann die Ballszene im zweiten Akt, effektvoll, raffiniert gebaut, von jener Mozarts im »Giovanni« allerdings strukturell weit entfernt. Ein Tosen der Chöre und Instrumente. Duftender Strauß von Melodien, an dem sich die betagten Besucher ergötzten. Mit Szenenapplaus dankten sie dem eine blendende Partie liefernden Hausorchester unter Donald Runnicles, den hervorragend einstudierten Chören des Hauses (Jeremy Bines) und den Solistinnen und Solisten.

Die Regie dreht allerdings die Erwartung um. Statt eines Gartenpalais nahe einer Großstadt ein schäbiger Saal, einer Scheune gleich, halbdunkel, mit Fotos und Plakaten an den rostbraunen Wänden. Eines der Fotos zeigt, wenn der Eindruck nicht täuscht, den Kopf Stalins. Nicht doch etwa wegen Prinz Orlowsky, dem Frauenzimmer? Oben die bunt illuminierte Eingangstür wie im Bordell. Eine Holztreppe führt hinunter. Hier hineinverlegt das Spiel als Gassenhauer bourgeois-aristokratischer Verwechslungshumoreske. Das ist durchaus schicklich und gegenwartstauglich in dem Sinne, dass selbst die Sprösslinge der Reichen es easy finden, in zerschlissene Klamotten zu steigen. So schäbig der Raum, so gewöhnlich die reich illuminierte Vergnügung.

Bewegungsmodell des zweiten Akts: Die zügellose Anarchie bricht aus. Vor Ort die quasi maskierte Gruppierung um Eisenstein, unter ihnen der Racheengel Dr. Falke (Philipp Jekal), der Gefängnisdirektor Frank (Markus Brück), Prinz Orlowsky als Weib, Adele und Freundin. Auf den »Wogen der Donau« schaukeln im Dreivierteltakt Militante und Matrosen, Tänzerinnen und Tänzer, schnüffelnde Geheimdienstler, windige Hunde. Gestalten aus Bühne und Halbwelt. Alle ständig in Pose, in extremer Bewegung und in jeder Lage singbereit. Champagnerseligkeit.

Damit nicht genug. Ein als Neandertaler ausstaffiertes Duo mit Knüppeln und rohen Säcken schleicht ein paar Mal an der Peripherie entlang. Und damit das moderne Berlin in seinem Glanz und seiner Weltoffenheit auf die Bühne kommt, lungert die ganze Zeit über ein Obdachloser in der Nische, unbeachtet vom Schaum der Feiernden. Nur einmal verlässt der Lumpenmann seinen Schlafplatz, der zugleich Kampfplatz seiner Seelenkrämpfe zu sein scheint, denn manchmal schreckt er hoch und schleicht sich an der Bühne vorbei nach draußen. Wohin? Die drei Kerle bilden das Kleeblatt, um nicht haarscharf an der Wirklichkeit vorbei zu inszenieren. Harmlos das alles.

Unter diesen Auspizien jagt im zweiten Akt eine Chorpartie die andere. Die können nicht perlend und eingängig genug sein. Die Sektgläser klirren nicht, bevor sie wie der rote Stern des Paares im Logo von Mosfilm, der sowjetrussischen Filmfabrik, kollektivistisch hochgehoben werden. Das ist die augenfälligste Szene im zweiten Akt. Sie präludiert den Vorgang jenes notorischen Saufens, wie es sich wohl unter Russen und dem sonstigen Abschaum höherer Ordnung gehört.

Die Dame Orlowsky als Russenfürst, blond, straff geschnürt und stimmlich beherzt (Angela Brower), rennt in NVA-Uniform herum, mit roten Offiziersbinden an den Ärmeln, so dass sie als unverwechselbare russische Aristokratin erkannt wird. Russisch rot versus chinesisch-nordkoreanisch blau. Flink wie Wiesel die beiden Jungweiber, Tänzerinnen, am Leib jene blaue Uniform, wie sie das asiatische Militär trägt. Möglicher Ausdruck einer Spezies von Geheimpolizei. Die beiden Blauen jagen und schlagen die Matrosen, als wären sie Aussatz, und führen sie ab. Derlei ist zwar nur Nebenszenerie, aber choreografisch prägnant ausgestellt (Philippe Giraudeau). Weltpolitisches Kolorit versüßt damit - wohl erstmals - den Zauber der »Fledermaus«.

Dr. Falke, der Rächer, schwebt gleichsam wie die Fledermaus über dem Parcours und schiebt im Zickzack die Halbwelt vor sich her, wohl wissend, dass sie sich - unkenntlich - zum Ball begeben hat in ihrer Versessenheit darauf, dass irgendwas endlich passieren müsse, und sei es die Katastrophe. In dem Punkt nimmt die »Fledermaus«, richtig gelesen, die kriegslüsternen Stimmungen im Vorfeld des Ersten Weltkriegs vorweg.

Dergleichen ist in der Deutschen Oper kein Thema. Die große Ruth Berghaus hat diesen Gesichtspunkt 1995 mit Hilfe von Dialogtexten des ebenso großen Karl Mickel auf einzigartige Weise herausgearbeitet. Ihre »Fledermaus« spielt in einem Gefängniskäfig, in dem unter jubilierenden Chören die Insassen sich zerfleischen. Hier indes waltet, sinnlich hochgetrieben, Rollenwechsel nach Vorschrift und en gros Eifersüchteleien, die weidlich ausgespielt und -gesungen werden.

Einfältig aktualisiert ist der dritte Akt. Als wäre es schon zeitbezogen, wenn man ein digitalisiertes Gefängnis mit Robotern als Wärter und Insassen in den Kosmos stellt. Blechern der Raum und die Gestalten. Operettensingsang des 19. Jahrhunderts, verlegt auf den Mars. Gesoffen wird auch hier. Schaumig muss es bis zum guten, versöhnlichen Ende zugehen. Das ist alles Firlefanz und geht nicht an die Substanz des Gegenstandes.

Nächste Vorstellungen: 29.5., 3., 8.6.

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