Das Hohe und das Hohle

Sebastian Krämer feiert sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem neuen Doppelalbum und mehreren musikalischen Abenden in Berlin

  • Mirco Drewes
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt einfachere Aufgaben als jene, den Berliner Chansonnier Sebastian Krämer vorzustellen. Versuchen wir es: Er ist ein künstlerisches Genie. Schier unerschöpflich scheint auch nach fünfundzwanzig Jahren auf der Bühne die Inspiration des Königs der Kleinkunstszene. Es ist womöglich ein Sebastian Krämer ohne künstlerischen Output vorstellbar, doch annähernd sinnlos.

Versuchen wir unsere Vorstellung zu komplettieren: Was Krämer gewiss nicht ist, ist ein Mann der Massen, ein Zampano, ein Kaufmich für die kleine Witzkatharsis nebenher. Seine Kompositionen und brillanten Texte sind - bei aller konsequenten Hinwendung zum Blödsinn der Verhältnisse und dem Gaga seiner Wortspiele - zu komplex, zu hintersinnig, zu herausfordernd für das Publikum der wohlfeilen Scherzkasper der Bühnenunterhaltung.

Man könnte sich Sebastian Krämer auch anhand des Booklets seines soeben erschienenen Doppelalbums »25 Lieder aus 25 Jahren« nähern: Statt dort werbewirksame Hudelei zu drucken, ergreift der Künstler selbst das Wort, Titel: »Kein Best of. Oder: Erfolg als Missverständnis«. Es folgt eine klug-heitere Auseinandersetzung über Wesen und Unwesen des Erfolgs in Fragen der Künste und die Abgründe des Marketingsprechs, welcher »ein zweifelhaftes Licht auf die für ihre Prägung verantwortliche Musikindustrie insgesamt wirft, deren Tod durch Musikpiraterie und Internet ein bisher nicht eingelöstes Versprechen darstellt«. Noch Fragen? Eine zumindest stellt und beantwortet Krämer im Booklet selbst: »Was hat all dies nun mit Sebastian Krämer zu tun? Erfreulich wenig«, allein schon mangels Erfolgs.

Der Promo-Text zur Werkschau als köstliches Aperçu eines kritischen, selbstlos-ironischen, anarchischen Denkkosmos, camoufliert als Abhandlung aus aktuellem Anlass: hochgebildet, aber niemals bildungsbeflissen, ohne geistigen Opportunismus, dem Augenblick als Pointe eines maskierten Überzeitlichen verpflichtet.

Aus diesem Geist des Widerspruchs und der kompromisslosen Uneindeutigkeit lebt Krämers Liedkunst: Die Chansons, zumeist getragen von pointiertem Klavierspiel, setzen das Hohe und das Hohle, das Erhebende und das Lächerliche, die Melancholie und die Albernheit gekonnt zueinander in das rechte, groteske Verhältnis. Die Texte tanzen am Abgrund des Denkens und Handelns, stoßen den Hörer sanft und doch bestimmt auf dasjenige, was abwesend ist, sei es nun Ideal, Liebe, Selbsterkenntnis oder Würde.

Krämers Sujets sind dabei denkbar vielfältig, aus jeder Beobachtung sprießt bei ihm das Unvollkommene und das Unvereinbare. Poetische Schönheit und philosophische Bosheit gehen Hand in Hand, die Existenz ein permanenter Selbstwiderspruch. Selten bemüht der Liedermacher die Seichtheit von Eindeutigkeiten. Doch wenn er sich zum Wachrüttler aufschwingt - man denke etwa an das Lied »Politiker können nichts dafür« -, dann tut er das mit schonungsloser Verve und einer Präzision der Beobachtung, für die man dankbar sein muss.

An sechs aufeinanderfolgenden Abenden ab dem 29.5. präsentiert Sebastian Krämer sein musikalisches Zwischenfazit in der Bar jeder Vernunft, am 3.6. mit Gästen: Tim Fischer, Danny Dziuk, Herrchens Frauchen und Dota Kehr werden mit ihm in die nächsten 25 Jahre hineinfeiern. Wer Sebastian Krämer noch nicht kennt: Es nicht zu spät.

Sebastian Krämer: »25 Lieder aus 25 Jahren«. Doppel-CD (Reptiphon).

Termine: 29.5. bis 2.6., 20 Uhr, 3.6., 19 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, 10719 Berlin

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