Ein anerkannter Mann

Die Anerkennung eines »Sans-Papiers« ändert nichts am Prinzip der Asylpolitik Frankreichs

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die schwerfällige und argwöhnische französische Bürokratie ist manchmal noch zu Wundern fähig. Bis zum vergangenen Wochenende war der 22-jährige Mamoudou Gassama aus Mali noch ein illegalisierter Einwanderer - heute ist er ein anerkannter Mann mit gültigen Papieren und in Kürze sogar Franzose. Das hat er in weniger als einer halben Minute vollbracht. In dieser Zeit kletterte er am Sonntag in Paris an einem Haus hoch bis zum vierten Stock, um dort ein vierjähriges Kind zu retten, das am Balkongeländer hing und in den Tod zu stürzen drohte. Passanten, die Gassama dafür spontan Beifall spendeten, haben seine Heldentat mit dem Handy gefilmt und das Video online gestellt. Der Clip von seiner Rettungsaktion wurde bereits mehrere tausend Mal angesehen.

Präsident Emmanuel Macron erkannte schnell, dass er nun mit einer großzügigen Geste für den jungen Mann aus Mali sein eigenes Image aufpolieren kann. Wegen der selbstherrlich durchgepeitschten Reformen und seiner als ungerecht empfundene Wirtschafts- und Sozialpolitik hat Macron Umfragen zufolge schon bei fast zwei Dritteln der französischen Bevölkerung seine anfängliche Sympathie verspielt. Dementsprechend hat der Präsident den jungen Sans-Papier am Montag ins Elysée eingeladen, wo er dem verschüchtert auf einem vergoldeten Sessel im Präsidenten-Arbeitszimmer sitzenden Gassama vor Mikrofonen und Fernsehkameras für seine Heldentat lobte. Zusätzlich versprach er ihm Papiere, einen Job und sogar die französische Staatsangehörigkeit. »Eine außergewöhnliche Tat verdient eine außergewöhnliche Geste«, erklärte Macron, machte aber zugleich deutlich, dass sich durch diesen Einzelfall nichts an den Prinzipien der Einwanderungs- und Ausländerpolitik ändert.

Auch Innenminister Gérard Colomb - der gewöhnlich Solidarität mit Illegalisierten durch die Polizei scharf verfolgen und Asylsuchende massiv abschieben lässt - beeilte sich zu versichern, er werde »persönlich für die zügige Legalisierung von Mamoudou Gassama sorgen«. Tatsächlich wurde der 22-Jährige für Dienstagmorgen zur Präfektur von Bobigny bei Paris bestellt, die er schon nach kurzer Zeit mit dem Ausweis in der Tasche verließ. In Kürze soll er bei der Feuerwehr ein Praktikum beginnen und dort im Schnellverfahren ausgebildet werden. Auch eine Wohnung wurde ihm zugesagt. Seine mehr als drei Jahre dauernde Flucht führte Gassama von Mali über Libyen, über das Mittelmeer und Italien nach Frankreich, wo sein älterer Bruder lebt. Dort war er in dessen kleinem Zimmer in einem Arbeiterwohnheim untergekommen.

Wie Mamoudou Gassamas Heldentat durch die Politiker vereinnahmt und für eigene Zwecke missbraucht wird, hat viel Kritik ausgelöst. »Reine Kommunikation«, schäumte beispielsweise die Grünen-Senatorin Esther Benbassa in einer Mitteilung auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. »Während Macron den Helden empfängt, setzt seine Polizei die Jagd auf seine unglücklicheren Schicksalsgenossen fort und verfolgt die Franzosen, die ihnen Hilfe leisten. Welch finstere und unmoralische Komödie einer prinzipienlosen Macht!«, hieß es weiter. Dabei hatte dieselbe Senatorin nur einen Tag zuvor unter dem Eindruck von Gassamas Rettungsaktion getwittert: »Diesem mutigen Mann verdankt ein kleines Kind sein Leben. Mamadou Gassama muss regularisiert werden, denn er verkörpert die republikanischen Prinzipien Solidarität und Humanität, wofür er Anerkennung und Dank verdient hat.«

So zwiespältig und widersprüchlich wie die Grünen-Politikerin Benbassa reagieren viele in Frankreich. In einer Umfrage antworteten auf die Frage »Reicht eine Heldentat, um sich die Staatsangehörigkeit zu verdienen«, 49 Prozent mit Ja und 51 Prozent mit Nein.

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