Letzte Chance für Rom

M5S und Lega nehmen einen weiteren Anlauf zur Regierungsbildung

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Und täglich grüßt das Murmeltier«, spotten die italienischen Medien. In Anspielung auf die US-amerikanische Filmkomödie karikieren sie das sich täglich wiederholende Polit-Karussell in Rom. Nach 88 Tagen ohne eine Lösung scheint die Regierungswahl inzwischen zur Farce zu verkommen.

Nun wird also doch noch einmal über eine politische Regierung nachgedacht. Lega und Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) bestehen nicht weiter auf Paolo Savona als umstrittene Personalie für das Wirtschaftsamt. Allerdings sind die Alternativen, die nun vorgeschlagen werden, auch schwer für den Staatspräsidenten zu akzeptieren. Immerhin hat der Quirinalspalast in Aussicht gestellt, die unterbreiteten Vorschläge genau zu prüfen und im Falle einer Machbarkeit kein weiteres Veto gegen eine Regierung unter M5S und Lega einzulegen.

Der florentinische Rechtsprofessor Giuseppe Conte jedenfalls hat bis auf weiteres alle seine Vorlesungen abgesagt und hält sich in der Hauptstadt bereit. Stundenlang tagten die Spitzen von Lega und M5S, um die neue Variante zu beraten. Als Wirtschaftsminister könnten sich die beiden Bewegungen den Vizegeneraldirektor der Banca d’Italia, Pierluigi Ciocca, vorstellen. Ciocca hatte zwar am Vormittag den Vorschlag zurückgewiesen, könnte aber bei intensiverer Nachfrage umgestimmt werden. Damit wäre das Wirtschaftsressort immerhin mit einer Personalie besetzt, die der gemeinsamen europäischen Währung zugeneigt ist.

Savona selbst ist dabei keineswegs aus dem Rennen. Die Koalitionspartner überlegen, den euroskeptischen Ökonom als Minister für Beziehungen zur Europäischen Union oder gar als Außenminister vorzuschlagen. Auch dies wäre eine Variante, der Präsident Mattarella nur schweren Herzens zustimmen würde - und die in Brüssel sicher nicht auf Beifall trifft.

Noch schwieriger zu verkraften dürfte die Integration der postfaschistischen Fratelli d’Itali-Alleanza Nazionale sein. Auf Vorschlag des Lega-Chefs Matteo Salvini soll die kleine rechtsradikale Partei als dritter Partner mit in die Regierung aufgenommen werden. Parteichefin Giorgia Meloni hatte bereits Wahlkampfveranstaltungen in Apulien abgesagt und ist in die Hauptstadt gefahren. Salvinis Vorstellungen zufolge könnte sie das Amt der Verteidigungsministerin übernehmen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Vertreter aus den Reihen der neofaschistischen Bewegungen Regierungsämter im Nachkriegsitalien besetzen. Doch in dieser Konstellation mit der ebenfalls rechtspopulistischen und nationalistischen Lega dürfte das Land zu einem deutlichen Rechtsruck tendieren.

Fraglich bleibt dabei, wie die überwiegend linksautonomen Unterstützer von M5S mit einer solchen Koalition umgehen wollen. Beobachter erwägen daher, dass dies ein erneuter Schachzug von Seiten Salvinis sein könnte, um auch diesen Koalitionsversuch zu Fall zu bringen und schließlich doch auf vorzeitige Neuwahlen hinzusteuern.

Die sozialdemokratische Partito Democratico versucht indes, mit anderen linken Partnern, wie der Gruppierung »Freie und Gleiche« (LeU) des bisherigen Senatspräsidenten und früheren Antimafiastaatsanwalts Piero Grasso, eine Art Front gegen Rechts zu organisieren. Für den Freitag haben die Linken bereits zu Massendemonstrationen aufgerufen. Der bisherige Entwicklungsminister Carlo Calende (Pd) warnt davor, dass die entstehende Koalition Italien in eine abgründige Krise führen werde.

Ob die Regierungsfrage noch am Donnerstag entschieden werden kann, bleibt - wie bei allen anderen bisherigen Verhandlungstagen - offen. Vielleicht grüßt am Freitagmorgen wieder das Murmeltier und es heißt in Rom: Alles auf Anfang. Wie lange sich das müde Wahlvolk diesen Politzirkus gefallen lassen wird, ist eine weitere ernst zu nehmende Frage. Derzeit steuert Rom auf einen heißen politischen Sommer zu.

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