Die deutschesten der antideutschen Linken

Vermeintlich rechte Parolen in einem linkem Zentrum sorgen für Streit in der Leipziger Szene

  • Fabian Hillebrand, Leipzig
  • Lesedauer: 7 Min.

Vor dem Conne Island herrschte letzten Montag großes Gedränge: Überall standen versprengte Gruppen und stritten lautstark. Es gibt Diskussionsbedarf an diesem Abend vor dem linken Zentrum im Leipziger Stadtteil Connewitz. Die Stimmung ist aufgeheizt, verschiedene Initiativen verteilen Flyer. Die anlässlich der Veranstaltung gegründete »Initiative gegen rechte Antideutsche« händigt Zettel aus, auf denen dem Referenten des Abends, Thomas Maul, »rechts-libertärer Furor und Linkenhass« vorgeworfen wird. Und eine Gruppe von sich selbst als »jüdisch-israelisch« bezeichnenden Aktivisten verteilt Flugblätter, in denen gegen die Veranstaltung und den »israelischen Faschismus« mobilgemacht wird.

Im Saal geht es ähnlich chaotisch weiter. Eine Gruppe von Frauen verbreitet Zettel, auf denen gefordert wird, dem »rassistischen und sexistischen Arschloch« Thomas Maul kein Podium zu bieten. Sie werden von den Veranstaltern des Raums verwiesen. »dann hört auf Sexisten ´ne Bühne zu bieten, ihr Schweine« quittieren sie den Verweis.

Der Referent auf dem Podium sagt dann Dinge wie, er würde Rednern der AfD und ihrer Polemik »weitgehend zustimmen«. Und: Die AfD sei »die einzige antisemitismuskritische Partei im Deutschen Bundestag«. Maul kritisiert weiter das herrschende Linkskartell und lobt die Flüchtlingspolitik von Viktor Orban. Ungewöhnliche Töne von der Bühne eines als linkem Zentrum bundesweit bekannten Veranstaltungsort. Was war passiert?

Eine Veranstaltungsreihe in Leipzig wollte sich anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels der Aufklärung über den auf Israel bezogenen Antisemitismus widmen. Geplant waren Vorträge zur »Kibbuzbewegung in Israel«, der »Kritischen Theorie des Antizionismus« und eine Veranstaltung von Thomas Maul mit dem Titel »Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner Bagatellisierung«. Maul ist Redakteur bei der Zeitschrift Bahamas. Am 9. Mai, einige Tage vor seiner Veranstaltung, die ursprünglich an der Universität Leipzig stattfinden sollte, setzte er einen Facebook-Post ab, der Stein des Anstoßes einer tagelangen Posse in der linken Szene in der Messestadt werden sollte.

Maul schrieb: »Immer wieder erscheint die AFD objektiv als EINZIGE Stimme der Restvernunft im Deutschen Bundestag, zuweilen gar als parlamentarischer Arm materialistischer Ideologiekritik«. Dabei bezog sich Maul auf eine Rede vom Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, anlässlich der Gründung Israels. Wem das missfällt, wer die »Wahrhaftigkeit« der »Rechtspopulisten« bezweifele, der müsse wenigstens die »zur Schau gestellte Unvernunft des herrschenden Linkskartells« anprangern, die den Erfolg der Rechtspopulisten erst möglich mache, schrieb Maul weiter.

Nach dem Bekanntwerden der Aussagen sagten »Die Naturfreunde Jugend Berlin«, die »Falken Leipzig« und die »Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig« ihre Mitwirkung an der Veranstaltungsreihe »70 Jahre Israel« ab. In der Begründung der »Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig« heißt es: »Es ging uns darum, Abstand zur kürzlich erfolgten Aussage Mauls zur AfD zu nehmen. Bei aller Deutungsoffenheit seines öffentlichen Beitrags lässt sich ein positiver Bezug zur AfD mit dem Selbstverständnis der Gedenkstätte für Zwangsarbeit nicht vereinbaren.« Die Naturfreunde Jugend Berlin schreibt, Maul sei »seit Jahren für seine unhistorischen, rassistischen Versuche, Islamismus allein durch die Auslegung des Korans erklären zu wollen, bzw. seine Beschimpfungen feministischer Kämpfe bekannt«.

Kurz darauf sagte auch der »Student_innenRat der Universität Leipzig« den Organisatoren der Veranstaltungsreihe die Räume ab. »Wir halten seine Aussagen nicht nur für polemisch, sondern schlicht für falsch. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, den bei der Universität gestellten und bestätigten Raumantrag aufzukündigen«, schreiben sie in einer Mitteilung.

Die Veranstaltung wurde dann spontan ins Conne Island verlegt. Nach erheblichen internen Konflikten wie Janne Maier*, die öfter am Conne Island-Plenum teilnimmt, »nd« verraten hat. Auch öffentlich stieß die Entscheidung, Maul doch noch eine Bühne zu geben auf Kritik. Juliane Nagel von den LINKEN meinte etwa, sie habe »viel Verständnis für streitbare Entscheidungen des Island gehabt«, aber das gehe zu weit.

Das Conne Island steht nicht das erste Mal in der Kritik, überzogen islamkritische Positionen zu dulden oder zu verbreiten. Im Herbst 2016 veröffentlichte das Zentrum einen Brief, in dem darüber geklagt wurde, man habe vermehrt Probleme mit sexuellen Übergriffen durch männliche Geflüchtete. Verantwortlich dafür machte das Conne Island »die stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern Geflüchteter«. »Das große Ärgernis an dem Statement liegt in der Konstruktion eines Skandals. Der Text fokussiert auf die falsche Ebene. Der Fokus sollte allgemein auf sexistisches und homophobes Verhaltens seitens marodierender Mackergruppen liegen, anstatt Wasser auf den Mühlen der rassistischen Reproduktionsmaschinen zu gießen«, kritisierte damals Marcus Adler im »Hate-Mag«.

Lars Müller* ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig. Er verfolgt die Entwicklung bestimmter Teile der »antideutschen« Linken schon länger. Er meint, es hätte drei zentrale Momente gegeben, an denen sich ein bestimmter Teil der antideutschen Linken um die Zeitschrift »Bahamas«, für die Maul als Redakteur tätig ist, von anderen Teilen der Szene differenziert hätten. Der eine Moment datiert zurück auf die Jahrtausendwende. In dieser Zeit wurde über eine Vergewaltigung innerhalb der linken Szene diskutiert. Die »Bahamas« stritt den Fall ab. Es hätte sich nicht um einen sexuelle Übergriff gehandelt, da die Betroffene nicht klar »Nein« gesagt hätte. Sie warf Teilen der Szene »Lustfeindlichkeit« vor. Diese Position wiederholte die Zeitschrift auch viele Jahre später immer wieder. Große Teile der Sympathisanten des Blattes wendetet sich damals von der Zeitschrift ab. Die Abkehr von feministischen Grundüberzeugungen sorgte auch in Folge immer wieder für Kritik, etwa als auf dem kürzlich stattgefundenen Bahamas-Kongress in Leipzig keine einzige Frau als Rednerin geladen war.

Eine zweite Trennlinie sei laut Müller die Kritik der Bahamas an diversen Formen von antirassistischem Engagement gewesen. Die »Bahamas« warnte vor »Islamfaschismus« und kritisierte die Linke für ihre Solidarisierung mit bestimmten migrantischen Communities. Janne Maier* meint, die Kritik am Islam, die sie in Teilen für berechtigt hält, würde bei den »Bahamas«-Redakteuren regelmäßig in Hetze und Pauschalisierungen umkippen.

Es sei also laut Müller »nur konsequent« und dies sei der dritte Moment der Abgrenzung, dass die Bahamas immer wieder ins Fahrwasser der Neuen Rechten kommen würde. Etwa wenn die Redakteure schreiben, Jean-Marie Le Pen würde »vernünftige Einwände gegen die ungebremste Islamisierung« hervorbringen. Oder, wenn Martin Sellner, einer der führenden Akteure der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, die Zeitschrift lobt und sie als »letzten aufklärerischen, kritischen Funken« in der »neuen Linken« beschreibt.

Oder eben, wenn »Bahamas«-Redakteur Thomas Maul in seinem Statement Alexander Gauland, der gerne die Leistungen deutscher Wehrmachtssoldaten lobt, als »einzige Stimme der Restvernunft im Deutschen Bundestag« bezeichnet. »Diese Leute kann man kaum mehr als Teil einer emanzipativen Linken begreifen«, meint Janne Maier*. »Da wird ein Konservatismus gepflegt, der seinesgleichen sucht. Da gibt es kein Aufbegehren mehr gegen das System, vielmehr könnte man eigentlich sagen, die versuchten schon lange, das Establishment gegen die Linke zu verteidigen, sind so deutsch und angepasst, wie es nur eben geht.« Quasi die deutschesten der antideutschen Linken.

In Leipzig ist der Streit derweil noch lange nicht zu Ende. Die Organisatoren der umstrittenen Veranstaltungsreihe kündigten eine umfassende Stellungsnahme an. Auch das Plenum des Conne Island hat sich bislang noch nicht öffentlich zu der Veranstaltung mit Maul und der Frage, wo die Grenzen der Kritik liegen, geäußert.

*Namen von der Redaktion geändert

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