Recht haben

Globale soziale Rechte, linke Kämpfe und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen - ein Diskussionspapier

  • Stefanie Kron, Alexander Schudy und Sylvia Werther
  • Lesedauer: 8 Min.

Transnationales Recht ist vor allem zu einem Herrschaftsinstrument globaler Konzerne bei der Durchsetzung ihrer Interessen geworden. Es schützt Patente von Pharmafirmen, Investitionen von Unternehmen und enthält HIV-Infizierten günstige Generika vor. Transnationale Unternehmen untergraben Menschenrechte, den Umweltschutz und Arbeitsrechte. Dabei können sie sich auf internationale Abkommen berufen, welche die Rechte privater Investoren und den so genannten Freihandel schützen.

Doch auf transnationaler Ebene findet sich auch ein Korpus sozialer Rechte. Bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 beinhaltet ein klares Bekenntnis zur Unteilbarkeit und Interdependenz von politischen und sozialen Menschenrechten. Der 1966 beschlossene UN-Sozialpakt kodifiziert weitreichende Rechtsnormen, wobei die Unterzeichnerstaaten sich rechtsverbindlich verpflichteten, mindestens den Kerngehalt dieser Rechte umzusetzen. Die Konventionen der International Organization of Labour (ILO) bieten einen Orientierungsrahmen für die internationale Durchsetzung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards, für den Schutz der Rechte migrantischer Arbeiter*innen und indigener Bevölkerungen. Und auch in der Europäischen Sozialcharta sind soziale Rechte verankert.

Die Diskussion

Wie kann das Konzept der Globalen Sozialen Rechte die Debatte über die UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 nachhaltig politisieren? Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Rosa Luxemburg-Stiftung und des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER) diskutieren Wissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen darüber mit der entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft.

Die Veranstaltungen finden im Rahmen der monatlichen Eine Welt Stadt-Foren des BER im Eine Welt Zentrum »Berlin Global Village«, Am Sudhaus 2 in Berlin-Neukölln statt. Nächster Termin: 6. Juni 2018, 18 Uhr, »Nachhaltig politisieren. Globale Soziale Rechte als Alternative zu der Agenda 2030?« Eine Diskussion mit Thomas Seibert (medico international), Boniface Mabanza Bambu (Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika) und Stefanie Kron (Rosa-Luxemburg-Stiftung).

Der nebenstehende Text dient als Diskussionspapier für diese Veranstaltung. Er wurde für »nd« gekürzt und leicht bearbeitet. Im Original enthält er Anmerkungen und Literaturhinweise: www.rosalux.de/publikation/id/38822. Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe: www.eineweltstadt.berlin/aktionen/globale-soziale-rechte

Diese Vereinbarungen sind unter der Bezeichnung »Globale Soziale Rechte« zusammengefasst. In den vergangenen Jahrzehnten sind die sozialen Rechte zugunsten von Handels- und Investorenrechten geschwächt und abgebaut worden. Der Soziologe Stephan Lessenich attestiert den Ländern des Globalen Nordens in seinem Buch »Neben uns die Sintflut« die Auslagerung der sozialen und ökologischen Kosten ihrer Lebensweise v.a. in den Globalen Süden. Allerdings kommen die ausgelagerten Kosten der ungleichen Globalisierung bereits deutlich spürbar zu uns zurück - etwa in Form des Klimawandels. Die gegenwärtigen globalen sozial-ökologischen Herausforderungen und die damit einhergehenden sozialen Konflikte, darunter auch wachsende Flucht- und Migrationsbewegungen, Ressourcenknappheit und extreme Ausbeutung in den transnationalen Wertschöpfungsketten, machen, wie es Lessenich ausdrückt, die Schaffung »einer transnationalen Rechtspolitik« dringend notwendig, »die globale soziale Rechte wirkungsvoll verankert«.

Stattdessen sehen wir uns in Europa und Nordamerika der Tendenz gegenüber, diese transnationalen sozialen Herausforderungen und Konflikte mit wirtschaftlichem Protektionismus und der nationalen Schließung von Sozial- und Umweltpolitiken zu begegnen. Es erstarken rechtsextreme Parteien und wir beobachten eine beängstigende gesellschaftliche Normalisierung rechtspopulistischer und xenophober politischer Haltungen. In diesem Kontext werden soziale Rechte zu einer Frage der Nationalität oder Staatsangehörigkeit und damit zu einem Privileg umdefiniert.

Bereits in den 1990er und 2000er Jahren hatten globalisierungskritische Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eine Debatte zu dem Thema angestoßen. Die Akteure der »Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte« forderten 2007 in einer Erklärung, »der Globalisierung des Kapitals, der Märkte und der Waren mit einer Globalisierung der Sozialen Rechte zu begegnen«. Die 2008 beginnende globale Finanzkrise beendete jedoch diese Diskussion vorerst.

Mit den Revolten des arabischen Frühlings von 2011 erstarkten die Kämpfe von Migrant*innen um globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Die »Bewegungen der Plätze« in Südeuropa und den USA stellten sich der »Politik eines neoliberalen Autoritarismus und der perspektivlosen Kürzungen« entgegen (Candeias/Völpel). Kampagnen wie die Clean Clothes Campaign (CCC) begannen, die Kämpfe von Arbeiter*innen um Rechte in den Produktionsketten der globalen Bekleidungsindustrie sichtbar zu machen. Auch transnationale soziale Bewegungen für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie gewannen an Kraft, ebenso wie die global vernetzte Landlosenbewegung Vía Campesina.

Einen Ansatzpunkt für transnationale und rechtsbasierte Antworten auf die sozialen Konflikte könnte die im Jahr 2015 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedete Agenda 2030 bieten, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) festlegt. Darin finden sich viele Anknüpfungspunkte für die Menschenrechte: die Verringerung von Ungleichheiten, Ernährungssicherung, Bildung und Gesundheit für alle, nachhaltige Produktionsweisen und menschenwürdige Arbeit. Im Unterschied zu den Millenniums-Entwicklungszielen (Millennium Development Goals) aus dem Jahr 2000 richten sich die Nachhaltigkeitsziele nicht mehr nur an die Länder des Globalen Südens als Adressaten von Entwicklungspolitik. Vielmehr fordern sie gleichsam die Staaten des Nordens auf, ihre Defizite zu beseitigen.

Globale Soziale Rechte sind politisch

Der Diskurs um Globale Soziale Rechte kann in politischen Kontexten und Kämpfen ausgestaltet werden. Darin wird die Durchsetzung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte als Voraussetzung für die Realisierung der bürgerlichen und politischen Menschenrechte, wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, betrachtet - und umgekehrt.

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte knüpft an neuere Menschenrechtsdiskussionen der Vereinten Nationen um die Stärkung sozialer Menschenrechte an. Diese haben daher eine hohe institutionelle Legitimation und sind teilweise bereits in nationalen Gesetzen, Verfassungen oder internationalen Verträgen verankert. Wie es in der eingangs erwähnten Erklärung der »Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte« von 2007 definiert wird, geht das Projekt aber darüber hinaus. Es ist politischer und kontroverser, weil es die Machtverhältnisse und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die der Verwirklichung sozialer Rechte für alle Menschen entgegenstehen, sichtbar macht und zu überwinden sucht. Hierzu gehören das Lohnarbeitsverhältnis und das Profitprinzip der kapitalistischen Produktionsweise, patriarchale Machtstrukturen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, ethnisch oder völkisch definierte Staatsbürgerschaftskonzepte, rassistische Ausgrenzung sowie (neo-)koloniale Strukturen und die gegenwärtigen Grenzregime. Gefordert werden zudem gleiche Rechte für alle Menschen und zwar unabhängig von Nationalität, Herkunft, Wohnort, Geschlecht, Hautfarbe oder religiöser Zugehörigkeit.

Die historischen Kontinuitäten des Kolonialismus und des Imperialismus sowie die gegenwärtige weltweite Expansion des Kapitalismus strukturieren und formen die globalen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Multinationale Konzerne konnten ein globales Regime von Wertschöpfungsketten etablieren, das auf transnationalen Ausbeutungsverhältnissen basiert. Die mächtigen Industriestaaten haben ein internationales Handelsregime durchgesetzt, das die globalisierte Herstellung von Gütern organisiert. Und die deregulierten Finanzmärkte funktionieren als ein Instrument zur weltweiten Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen.

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte stellt das auf Wachstum basierende globale kapitalistische Entwicklungsmodell in Frage, das, verflochten mit Rassismen und patriarchalen Strukturen, soziale Ungleichheiten erzeugt und zementiert. Dabei sind Fragen der sozial-ökologisch-ökonomischen Transformation von besonderer Bedeutung. Lessenich beispielsweise fordert neben einer transnationalen Politik der sozialen Rechte auch einen »globalen Sozialvertrag zur Verzögerung des Klimawandels und der egalitären Bewältigung seiner Folgen« sowie den »Umbau der Volkswirtschaften«, insbesondere derjenigen des Globalen Nordens, »in Postwachstumsökonomien«, die gesellschaftlich kontrollierte und ökologisch nachhaltige Produktionsweisen sowie den Schutz der Ökosysteme beinhalten.

Soziale Bewegungen

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte gewann und gewinnt seine Stärke vor allem in den Kämpfen von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Protestbewegungen. Deren Forderungen sind für die Durchsetzung der Rechte in Parlamenten und Institutionen zentral. Andererseits können parlamentarische Initiativen oder Verhandlungsprozesse in internationalen Foren auch außerinstitutionelle Bewegungen mobilisieren, wie die UN-Klimakonferenzen zeigen.

Zwei Beispiele für erfolgreiche transnationale Kämpfe um Globale Soziale Rechte finden sich im Bereich der Arbeitsrechte in der maritimen Schifffahrt sowie im Bereich der Inklusion von Migrant*innen auf der Ebene der Kommunen und Städte in Nordamerika und Europa. So gibt es im Bereich der Hafenwirtschaft und Handelsschifffahrt seit vielen Jahren erfolgreiche Kampagnen für die Durchsetzung grenzüberschreitend gültiger Arbeitsrechte. Exemplarisch sei hier der von der International Transport Federation (ITF) inzwischen mit mehr als 12 000 Handelsschiffen ausgehandelte Tarifvertrag für Seeleute genannt.

In Bezug auf grenzüberschreitende Flucht und Migration findet sich in der Agenda 2030 lediglich ein Unterpunkt zur »verantwortungsvollen Planung«, »Ordnung« und »Regulierung« von Migrationsbewegungen. Von Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ist an keiner Stelle die Rede. Dies erscheint als eine irritierende Auslassung angesichts der humanitären, sozialen und politischen Bedeutung, die das Feld der Migration derzeit auf globaler Ebene einnimmt. Das Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, welches für immer mehr Menschen die Voraussetzung für den Zugang zu sozialen Rechten darstellt, ist zwar im engeren Sinne kein soziales, sondern ein individuelles Freiheitsrecht. Dennoch ist die Debatte um Globale Soziale Rechte eng an die Forderung migrantischer und pro-migrantischer Netzwerke nach Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit geknüpft. Auch hier gibt es bereits konkrete Beispiele und Erfahrungen der Umsetzung von Politiken, die globale Bewegungsfreiheit und soziale Rechte zusammen sehen.

So fördern die wachsende Bewegung der Städte der Zuflucht (sanctuary cities) in Nordamerika sowie der Städte des Willkommens und der Solidarität in Europa, darunter Palermo, Barcelona, Berlin und Zürich, das Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, indem sie soziale Rechte von Nationalität, Staatsbürgerschaft und formalem Aufenthaltsstatus entkoppeln. Stattdessen sehen die Stadtregierungen alle Bewohner*innen ihrer Städte als Bürger*innen mit Rechten an, die es, wenn nötig, auch gegen nationalstaatliche Gesetzgebungen zu verteidigen gilt. New York und Zürich arbeiten etwa an kommunalen Ausweisdokumenten, die alle Bewohner*innen der Stadt, ungeachtet des formalen Aufenthaltsstatus, erhalten und damit Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnungen und Arbeit bekommen können.

Fazit

Eine rechtsbasierte und rechtlich verbindliche Revision der Agenda 2030 wäre vor dem Hintergrund globaler sozialer Konflikte um menschenwürdige Arbeit, Bewegungsfreiheit, Gesundheitsversorgung, Bildung, angemessenen Wohnraum und natürliche Ressourcen, aber auch angesichts des Erstarkens von Rechtspopulismus und der Zunahme rassistischer Straftaten in Europa und Nordamerika dringend nötig. Dies zeigt auch der Schattenbericht zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und ihrer Umsetzung von 2017. Er listet verschiedene Felder auf, die in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nicht mehr berücksichtigt werden, obgleich die UN-Agenda 2030 dies vorgibt. Das Nachhaltigkeitsziel Zehn lautet beispielsweise, die Ungleichheit innerhalb der Staaten zu verringern. Dies müsste sich konsequenterweise in Anstrengungen zur Verwirklichung der Menschenrechte für alle widerspiegeln: Hierzu würden unter anderem die Inklusion von Menschen mit Behinderung und die Bekämpfung von Hasskriminalität gehören.

Die Globalen Sozialen Rechte werden auch als Diskurs der Selbstermächtigung beispielsweise von Arbeiter*innen, Frauen, LGBTI-Menschen und Migrant*innen artikuliert, um ihre Interessen als politische Subjekte gegenüber dem Staat und internationalen Organisationen einzuklagen. Zudem bietet das Projekt die Möglichkeit, die Forderung verschiedener Akteure zu verbinden. Aus den partikularen, aber global ausgetragenen Kämpfen für soziale Rechte kann so eine gemeinsame und solidarische politische Strategie für eine egalitärere (Welt-)Gesellschaft werden. Dies macht die Globalen Sozialen Rechte für eine emanzipatorische und internationalistische linke Perspektive so attraktiv.

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