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  • Kultur
  • Klangkunstwerk zur A100

Autobahn meditativ

Das Künstlerduo TAMTAM hat die Geräuschkulisse der A100 zu einem Klangkunstwerk gemacht

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 5 Min.

Man muss der DDR dankbar sein, denn ohne sie wäre Berlin heute von allen Seiten von der A100 umschlungen und erwürgt. Ihre reine Existenz hat den Albtraum einer Ringstrecke für Automobile verunmöglicht, ihr Untergang die Ausführung vorhandener Pläne zum Ausbau der Stadtautobahn um Jahrzehnte zurückgeworfen. Ganz verhindern konnte man den Bau der A100 nicht - ganz im Gegenteil, Westberliner Bürger und Politiker sehnten sich nach ihr - weshalb das Collaboratorium im Aufbau-Haus (CLB) am Moritzplatz ihr am vergangenen Freitagabend anlässlich ihres sechzigsten Geburtstags im Kreuzberger Verlagshaus eine Klanginstallation der Gruppe TAMTAM widmete.

In einem geschmacklos weiß-blau eingerichteten Veranstaltungsraum, der mehr an das Flair eines Co-Working-Space eines radikal durchgentrifizierten Stadtviertels erinnert als an eine Autobahn, finden sich an die 100 Schnellstraßenbegeisterte aus dem Kreuzberger Milieu zusammen, um institutionalisiert Umarmungen auszutauschen, Küsschen hier, Küsschen da, und um bei den richtigen Schlüsselwörtern zu klatschen, bevor man sich mit dem nächsten Glas Schaumwein gegen Spende belohnt. Aber in Kreuzberg ist es zumeist unfair, KünstlerInnen nach ihrem Publikum zu bewerten. Neben den Hipstern sind auch viele ältere Menschen zu Gast. Sie werden von der A100, in deren Schatten sie geboren zu sein scheinen, an die Aufbruchsstimmung ihrer Jugend erinnert, manche müssen sich sogar völlig erschöpft von den Eindrücken daniedersetzen.

Bevor die Veranstaltung mit einer satten Verspätung beginnt, wird der Raum von einer weiteren spontanen Klanginstallation beherrscht, die thematisch nirgends besser passen würde: Krach, laute Gesprächsfetzen aus allen Ecken, Lachen, klirrende Gläser, als wollten die BesucherInnen selbst eine Autobahn sein, die sich zum Entsetzen aller oberirdisch durch eine Großstadt zieht. Schnell wird einem klar, die Stadt der Zukunft - oder zumindest ihr Verkehr - muss unterirdisch sein, die Oberfläche soll der Ruhe gehören. Der Ruhe, die einkehrt, als Sven Sappelt von CLB Berlin die Veranstaltung endlich eröffnet. Zunächst spricht er kaum über die A100, sondern über die Geschichte von CLB, das bereits sein dreijähriges Bestehen feiert, über die Schwierigkeiten, die kleinere Kunstbetriebe mit flachen Hierarchien haben, sich zu finanzieren, und darüber, welche Dankbarkeit man dafür empfindet, dass der Berliner Kultursenat dieses Projekt mit finanziellen Mitteln ermöglicht hat. An Letzteres würde man sich gerne gewöhnen, sagt er sinngemäß. Er schmeichelt den VertreterInnen der Medien, er sei gerade zu begeistert von dem Interesse, das dem Projekt von Funk und Print entgegenkommt.

Dann übergibt er an den Musikwissenschaftler Holger Schulze, der das Publikum in Sachen Klanginstallationen und Kulturgeschichte der Stadtautobahn einführen soll, bevor es auf das Dach des Aufbau-Hauses geht, um zum ersten Mal dem Stück von TAMTAM zu lauschen.

Seine Rede ist ein Loblied auf die Stadtautobahn, sie sei »eine Utopie, die sich der Konsumbürger erkämpft hat«. Er schwärmt - wie viele hier - von den Zeiten, als Automobile noch Straßenkreuzer waren, die Freiheit verkörperten, Zeiten, in denen das städtebauliche Leitbild die autogerechte Stadt war. Es ist nicht so, als verlöre Schulze gar keine kritischen Worte über die Stadtautobahn, sie werden nur weitaus weniger enthusiastisch vorgetragen und bleiben oberflächlich. Im Vordergrund steht das Bild eines feuchten Traums, der aus einem Ayn-Rand-Roman stammen könnte. Ein Bild, das das Publikum, scheinbar bestehend aus dem Kreisverband der FDP-Kreuzberg, zu ehrlichem Applaus verleitet. Feind ist, wer sich nicht direkt im Anschluss einen Volkswagen bestellt.

Anschließend wird der Weg aufs Dach freigemacht und die Kolonne bewegt sich über das kühle Treppenhaus sechs Stockwerke nach oben. Ein Raum, der gerade genug Platz für alle BesucherInnen bietet, in grelle, bunte Lichter gehüllt, zu beiden Seiten eine Dachterrasse. Im Hintergrund eine Bar, die Wodka mit Sprudel zu horrenden Preisen verkauft, und eine weitere Pause. Dann endlich die Musik. »A100« heißt das vierteilige Stück über die gleichnamige Autobahn, TAMTAM heißt das Duo, bestehend aus Sam Auinger und Hannes Strobel. Bereits seit 17 Jahren machen sie gemeinsam Musik in Berlin. Ihren österreichischen Akzent sind sie dennoch niemals losgeworden. Sie sind aber weniger Musiker, als Klangforscher, und ihr Forschungsgebiet ist die Psychoakustik: Wie verändern Alltagsgeräusche die Art, wie wir (Unterhaltungs-) Musik hören und wahrnehmen? Diese Frage veranlasste sie dazu, die Stadtautobahn genau zu beobachten und mit ihrem Stück einen Diskussionsbeitrag zur Debatte über die A100 zu schaffen.

Doch sind sie am Ende eben Musiker, Künstler und keine Agitatoren. Ihre A100 klingt still, ruhig, die vier Teile unterscheiden sich kaum und sind so repetitiv wie eine Autobahn. Lang gezogene Mollklänge verbreiten sich vom Dach des Aufbau-Hauses über Berlin wie antike Sirenengesänge und verschmelzen mit den Hintergrundgeräuschen der Straßen. Alles erscheint wie der Song der verlorenen Sehnsüchte, von denen den ganzen Abend über die Rede war, aber weder als Loblied noch als reiner Spiegel der Realität noch als Vorschlaghammer der Kritik, sondern als ganz eigene Interpretation der Verhältnisse. Trotz des überschwänglichen Applauses am Ende aller vier Teile, bleibt der größte Teil der Zuhörerinnen mit diesen Eindrücken wohl ratlos zurück.

»A100. Der Klang der Berliner Stadtautobahn« lässt sich noch bis zum 1. Juli 2018, täglich zwischen 11 und 19 Uhr im Aufbau-Haus am Moritzplatz in Kreuzberg erleben. Weitere Infos: clb-berlin.de

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