Schöne Inszenierung

Der Martin-Gropius-Bau zeigt eine Gesamtinstallation von Philippe Parreno

  • Richard Rabensaat
  • Lesedauer: 4 Min.

Irgendwie hängt alles immer mit allem zusammen. Jedenfalls bei Philippe Parreno im Berliner Gropius-Bau. Jalousien gehen hoch und herunter, Licht geht an und aus, Klänge ertönen und verlöschen wieder. Gesteuert werden die einzelnen Elemente von einem Generator, der nicht ganz zufällig agiert, aber doch menschlicher Kontrolle entzogen ist: einem Bioreaktor, in dem Hefe lebt und sich entfaltet. Parreno habe Hefe verwendet, die auch schon in anderen Ausstellungen zum Einsatz gekommen sei, erklärt der Katalog. Auf der Grundlage eines DNA-Scans hätten sich schon verwendete Bakterien noch einmal herstellen lassen. Das klingt nicht so richtig glaubwürdig, schließlich hätte es auch genügt, schlicht ein paar Hefekrümel übrig zu lassen und wiederzuverwenden.

Glasbehälter, Computer, Bildschirme, Kabelstränge und Anschlussbuchsen verbinden sich zu einer Maschinerie, die recht kompliziert anmutet und erklärtermaßen das pulsierende Herz der Ausstellung ist. Denn von dort werden die verschiedenen Elemente in den Ausstellungsräumen gesteuert. Geht es der Hefe gut und sie wächst, so erklingen Klaviertöne, pulsieren digitale Collagen an einer kleinteiligen Diodenwand. Aber auch Implikationen aus dem Außenraum wirken in die Ausstellung hinein: Mikrofone belauschen den Straßenverkehr, und auch diese Klänge werden umgesetzt und in die Apparatur der Ausstellung eingespeist.

So ganz genau planbar war der Aufbau nicht. Wenige Stunden vor der Eröffnung wurden noch Veränderungen an der Installation der einzelnen Räume vorgenommen. Nun aber leuchten die gelben Neonfarben auf einer nahezu weißen Leinwand auf, wenn die Fenster sich elektronisch gesteuert verdunkeln, erklingen Töne, bewegt sich das Wasser, schweben Heliumfische unter der hohen Decke des Museumsaltbaus.

Im Lichthof des Gropius-Baus: ein großes, dunkles Bassin. Blau eingefärbtes Wasser, in dem sich eine Apparatur verbirgt, die gelegentlich kreisförmige Wellen auf der ansonsten ruhigen Wasserfläche erzeugt. Mit der Installation habe der Künstler das Gebäude des Gropius-Baus in einer ganz neuen Weise erfahrbar machen wollen, betont Thomas Oberender, der Leiter der Berliner Festspiele, zu denen auch der Gropius-Bau gehört.

Das Experiment gelingt. Etliche verschiedene Elemente fügen sich zu einer Gesamtinstallation, die den Besucher in den Bann zieht. Trotz des immensen technischen Aufwandes, den Philippe Parreno mit seinem augenscheinlich sehr kostspielige Aufbau betreibt, wird die Schau nicht von der Technik erdrückt. Die Elemente fügen sich im besten Sinne zu einem Raum, der die Kunst mit allen Sinnen erlebbar macht. Von einer »durchkomponierten Umgebung« schreibt Thomas Oberender in seinem Einleitungstext. Parreno selbst besteht darauf, dass seine Ausstellung keine Installation sei, sondern sich in das einpasse, was die Berliner Festspiele als Überschrift für eine ganze Reihe von Aktionen und Arrangements gewählt haben: Immersion. Gemeint sei damit das Eintauchen in eine gestaltete Umgebung, einen Erlebnisraum, erklärt Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius-Baus. Die Schau sei als Ausstellungsorganismus zu sehen, der den Besucher verändern würde, formuliert Oberender recht hochtrabend. Dem Ganzen wohne ein »radikaler, antibürgerlicher Affekt« inne, denn schließlich werde ja nichts gezeigt, das jemand besitzen könne. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn es hängt auch eine erkleckliche Zahl von recht schönen Tuschzeichnungen an der Wand, die ganz sicher gut verkäuflich sind. Sie tragen Titel wie »Tief in den Löchern wachsen schwarze Orchideen« oder »Eine Pflanze glaubt, sie ist ein Mensch«. Auch die Papierarbeiten passen harmonisch zum Ganzen und kreieren eine Umgebung, die den Besucher sphärisch umschmeichelt.

Mit der Schau knüpft der 1964 in Algerien geborene Künstler an eine ganze Reihe von Ausstellungen an, in denen er mit vielfältigen Materialien Räume kreiert hatte. So 2016 in der Tate Modern Turbine Hall in London oder im Palais des Tokyo in Paris, wo er als erster einzelner Künstler eine Ausstellungsfläche von 22 000 Quadratmetern bespielte. Parreno reagiert auf die Struktur des Gropius-Baus einfühlsam und schafft es, auch eher niedlich anmutende Elemente, wie die aufgeblasenen Heliumfische, in einem genau ausgetüftelten Luftstrom so zirkulieren zu lassen, dass man der schwerelos wirkenden Inszenierung gerne einige Zeit zuschaut.

Auch der im Nebenraum aufgestellte Flügel fasziniert nicht nur deshalb, weil es sich augenscheinlich um ein recht kostspieliges und aufwendig inszeniertes Instrument handelt. Sondern vor allem, weil der Besucher natürlich mit Spannung erwartet, ob sich das Gerät in Bewegung setzt oder nicht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich die Ausstellung in aktuelle Zeitströmungen wie den Trend zur Virtuellen Realität mit ihren sonderbar klobigen Brillen einfügt, wie der Ausstellungstext behauptet. Den Trend zum Gesamtkunstwerk hatten jedenfalls schon Richard Wagner und Salvador Dali ebenso für sich entdeckt wie Joseph Beuys und Matthew Barney. Im Gegensatz zu diesem agiert Parrreno bemerkenswert zurückhaltend und brüstet sich nicht mit der Opulenz seines technisch sehr aufwendigen Arrangements.

Philippe Parreno. Rückblick auf eine zukünftige Ausstellung. Bis 5. August, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Mitte.

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