Die Mohn-Sekte aus Gütersloh
Wie die Bertelsmann-Stiftung das deutsche Bildungswesen umkrempeln will
In Nordrhein-Westfalen (NRW) begann 1997 das Projekt »Schule + Co« an 90 Schulen in Leverkusen und Herford. Nach Änderung des Schulgesetzes startete 2000 das »Projekt selbstständige Schulen« (278 Schulen). Es gelang, den DGB und die GEW als Partner zu gewinnen. Projektleitung: die BS. Die Schulen waren anfangs begeistert, es gab Geld und eine Planstelle zusätzlich, man konnte Neues gestalten, die Betriebe in der Umgebung wurden für die Schulen erschlossen, man hatte »Bertelsmänner« als Berater. Inzwischen mehren sich allerdings kritische Stimmen. Der DGB-Landesverband beklagt ausdrücklich die verschlechterte gesetzliche Mitbestimmung an den Schulen. Trotzdem wurde dieses Modell in diesem Jahr an allen Schulen in NRW eingeführt.
In den hessischen Kommunen Groß-Gerau und Rüsselsheim startete 2001 »Budgetierung von Schulen« zur Einführung der »Neuen Verwaltungssteuerung«, gestützt durch das Computerprogramm SAP R 3. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm u. a. die BS, das Beratungsangebot der Uni Frankfurt wurde zurückgewiesen.
In Hamburg wurde den Schulen, die sich 2004 am Modell »Selbstverantwortete Schule« beteiligten, auferlegt, das von der Bertelsmann-Stiftung entwickelte Instrument SEIS (»Selbstevaluation in Schulen«) einzusetzen. Auch in Niedersachsen arbeiten die »eigenverantwortlichen Schulen« nach SEIS.
Rankingplätze wichtiger
als pädagogische Qualität
SEIS hat es in sich. Die computergestützte Auswertung führt in 1300 Schulen in allen Bundesländern zur Steuerung nach standardisierten Kennziffern. Kern des Instruments sind vier Fragebögen mit je fünf Antwortkästchen zum Ankreuzen: »Stimme völlig zu« bis »Stimme gar nicht zu«. Die Computerauswertung nimmt die Kölner Bertelsmann-Tochter »Dankwerk« vor. Sieht man sich die Fragen genauer an, wird die Fragwürdigkeit deutlich: Es werden subjektive Eindrücke standardisiert abgefragt, z. B. »ob das Leistungsniveau hoch sei« oder ob in Deutsch und Mathematik »gut« gelernt werde. Naturwissenschaften, Sport, Musik, Politik, Geschichte sind dagegen nicht von Interesse. Schulqualität wird damit auf ein Niveau reduziert, wie es beispielsweise in den USA schon gang und gäbe ist und Testkritiker bereits ironisch anmerken: »Von Relevanz sind nur die drei R (reading, writing, arithmetics), denn nur sie werden für die Rankings getestet.«
SEIS ist dennoch für manche Schulen verlockend, verspricht das Ranking doch eine Vergleich mit anderen Schulen und - bei entsprechend gutem Tabellenplatz - Vorteile im Wettbewerb gegenüber anderen Bildungseinrichtungen. Dass Schulen zu SEIS greifen, ist angesichts der Engpässe dort verständlich. Was Kultusministerien veranlasst, SEIS für die Schulen verpflichtend zu machen, jedoch nicht. Offenbar wollte man ein Verfahren, das als Beurteilungs- und Kontrollinstrument und zukünftige Ranking-Datei geeignet ist. Die dazu geeignete Software SAP R 3 benötigt alle Schülerdaten aus 13 Jahren - deshalb die von der KMK jetzt rigoros durchgesetzte Einführung einer zentralen Schülerdatei. SAP R 3 ist entwickelt worden, große Datenmengen und Einheiten zentral zu steuern. 80 von 100 der größten Konzerne in Deutschland steuern damit alle Unternehmensprozesse, und zwar zentral. Die Schulen und Hochschulen hinken bei dieser Entwicklung hinterher, weil soziale Prozesse nicht einfach in ökonomische Kennziffern zu gießen sind, allenfalls in künstlich generierte. Die bisher dafür rund 900 entwickelten Kennziffern in Hessen, Niedersachsen und Sachsen brachten nur mäßigen Erfolg. Es fehlt noch ein einheitliches, brauchbares Kennziffernsystem, wozu die Bertelsmann-Stiftung mit SEIS Vorarbeit leistet und sehr geschickt staatliche Stellen einbindet.
Mit SEIS hat die BS die Sprache der Schulpraxis entdeckt, als quasi neutrale Stiftung, der Zivilgesellschaft verpflichtet. Die alten preußisch-hierarchischen Regierungstechniken sind in der Tat nicht mehr zeitgemäß und stoßen daher bei vielen Pädagogen auf Kritik. Aber sie durch betriebswirtschaftliche Steuerung zu ersetzen, ist kein Ausweg, auch wenn einige alte Zöpfe abgeschnitten werden. In diese Ambivalenzfalle tappen nun viele Schulen, zumal sich die Bertelsmann-Stiftung - medienerfahren und geübt - fast aller reformpädagogischer Vokabeln bedient. Da ist von »Autonomie«, »selbstständig«, »offen«, »schülerorientiert« die Rede, Schulen sollen als »Partner« gewonnen werden. Zumal überall Wettbewerb und Vergleiche gefordert werden. PISA hat dies öffentlichkeitswirksam befördert. Das Schielen auf den Rangplatz der eigenen Schule wird wichtiger als die pädagogische Interpretation der Daten vor Ort.
Gesellschaftliche Konflikte
werden entpolitisiert
Die Fokussierung der bildungspolitischen Debatte auf Selbstveränderung und Strukturveränderung ohne Infragestellung des Bildungsprivileges gelingt, denn Begriffe wie »Emanzipation«, »Kritikfähigkeit«, »Mitbestimmung« oder »Partizipation« fehlen bei der BS ganz. Soziale und gesellschaftliche Konflikte werden pädagogisiert, der Zivilgesellschaft überantwortet und damit entpolitisiert.
Betrachtet man das Leitbild der Stiftung, das auf den etwas altbackenen, verquast und religiös-menschelnd formulierten Schriften der Stiftungsgründer Reinhard und Liz Mohn fußt, so wundert dies nicht. Dort wird u. a. gefordert, »dass unternehmerisches Denken und Handeln entscheidend dazu beitragen muss, Problemlösungen für die verschiedenen Bereiche unserer Gesellschaft zu entwickeln und erstarrte Strukturen aufzulösen«. Das Gewicht des Kapitals gilt nicht mehr als Gefahr für die Demokratie, sondern umgekehrt, die Demokratie gilt als Gefahr für das frei agierende Kapital. Deshalb sei das Kapital geradezu verpflichtet, als Teil der gesellschaftlichen Gewalten aufzutreten. Das Grundgesetz kenne gemäß Art. 14 »keine potenziell absolute Herrschaft der politischen Demokratie über Gesellschaft und Wirtschaft«. Ohne schlafende Hunde zu wecken, verlegt sich die Bertelsmann-Stiftung auf eine schleichende Revolution. Die Frage ist, ob wir das so wollen.
Horst Bethge ist Mitglied des Leitungsteams der AG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Linkspartei.PDS.
Buchtipp: Netzwerk der Macht - Bertelsmann, erscheint dieser Tage im BdWi-Verlag ( 434 Seiten, 15 Euro); www.bdwi.de.
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