Dann wird aufgeräumt

Stephan Brings über Karneval und Kommunismus

  • Lutz Debus
  • Lesedauer: 10 Min.
Hochdekoriert ist die Wohnküche von Stephan Brings. Hunderte von Orden schmücken die Wand neben dem Esstisch. Die siegreichen Schlachten, für die er die Blechmedallien verliehen bekam, schlug der Mann mit der schwarzen wallenden Mähne und der kleinen Nickelbrille allerdings in Kneipen und Sälen. Die güldenen Sterne, Kreuze und Münzen an bunten Bändern sind nämlich Karnevalsorden. Und Stephan Brings ist Bassist und Sänger einer der wichtigsten Kölner Kölschrockbands. Seit 1991 gibt es »Brings«. Vor sieben Jahren landete die Combo mit »Superjeilezick« zumindest im Westen der Republik einen Riesenhit. Auf Hochdeutsch übersetzt heißt der an den tollen Tagen unvermeidliche Musiktitel: »Sehr schöne Zeit« und klingt entfernt ein wenig nach »Those were the days my friend«. Es ist 10 Uhr morgens. Stephan Brings ist heiser. Husten, Schnupfen und drei Auftritte am Wochenende haben seiner Stimme zugesetzt. Gut, dass ihm dies nicht im Februar passiert ist. Kurz vor Rosenmontag lässt er sich sogar regelmäßig Vitaminpräparate per Venentropf verabreichen, um einer Erkältung vorzubeugen. Diese kann sich der Sänger gerade in der sogenannten fünften Jahreszeit nicht leisten. »Aschermittwoch ist die Stimme sowieso weg«, krächzt der 41-Jährige und bereitet einen Rooibostee zu. In der Karnevalszeit gibt er sieben bis acht Konzerte täglich. In verrauchten Kneipen muss er mehr schreien als singen. Den Rest der gesundheitlichen Verwüstung besorgt das zu diesem Leben passende Kneipenessen. »Frikadellenbrötchen für sechs Euro fuffzich. Da weiß ich nie, wo die Frikadelle aufhört und das Brötchen anfängt.« Der Karnevalist war in jungen Jahren Kommunist. Um zu erklären, warum er als Jugendlicher in die DKP eingetreten ist, muss er weit ausholen und seine Familiengeschichte erzählen. Sein Vater Rolly Brings ist 1943 geboren. »Da gab es Oma Brings und Opa Brings. Opa war nicht im Krieg, war unabkömmlich, hat irgendwas bei der Bahn gemacht. Aber der war trotzdem nie zu Hause.« Die Großmutter habe ein Liebesverhältnis zu einem Kriegsgefangenen, einem Rotarmisten, gehabt. Dem Großvater sei nicht aufgefallen, dass sein Sohn ihm so gar nicht ähnlich sieht. Opa sei auch in dem Glauben gestorben, dass es sich um sein Kind handelt. Rolly Brings erfuhr erst auf dem Totenbett seiner Mutter, der Oma Brings, dass sein Vater nicht aus Köln, sondern aus Georgien stammt. Vorher schon, mit 14, ging er von zu Hause weg, schipperte einige Jahre über die Weltmeere, kehrte dann nach Köln zurück. Erst war er Hilfsarbeiter, dann machte er eine Lehre als Maschinenschlosser bei Ford. »Er stand immer bis zu den Oberschenkeln im Öl und hat dann gemerkt, dat kann et nich sein«, erzählt Stephan Brings mit seinem Kölner Klang in der Stimme. Der Vater absolvierte im Rahmen der Begabtenförderung ohne Abitur sein Studium und wurde Lehrer. Damals 1968, Oma Brings war gerade gestorben, wurde Rolly politisch. Er engagierte sich bei der VVN und erfuhr von den alten Genossen, unter welch barbarischen Umständen sein leiblicher Vater umgekommen sein musste. »Obwohl nie in der Partei, war mein Vater zu jener Zeit Stalinist. Anders kann ich das nicht nennen.« Stephan Brings zuckt bei dieser Feststellung mit seinen Schultern, nimmt einen großen Schluck aus seiner Teetasse. Stephan wurde von den Eltern in den Sommerferien regelmäßig in die DDR geschickt. In die Nähe von Zwickau oder an den Scharmützelsee. »50 D-Mark für drei Wochen Ferien. Was anderes hätten sich meine Eltern für uns Kinder sowieso nicht leisten können.« Politisch prägte ihn jene Zeit nicht. Morgens zum Fahnenappell ist er nicht gegangen. »Wir haben im Wald Hütten gebaut, Feuer gemacht, Banden gebildet, auf die Fresse gehauen. Ganz normal.« Mit seinem Bruder war er in Köln auch Mitglied der Jungen Pioniere. Zusammen mit seinem Vater Rolly stand er schon früh auf der Bühne. Auf Gewerkschaftsveranstaltungen, bei der VVN oder auf Demos spielte Vater mit seinen beiden Söhnen linke Lieder. Rolly wandte sich in den 1980er Jahren in Folge des Afghanistankrieges von der DKP ab. Auch Stephan trat später aus der Partei wieder aus. Zu den alten Genossen hat er, sofern sie noch leben, immer noch einen herzlichen Kontakt. Zu den jungen Funktionären in der DKP hat er aber keinen Draht mehr. Im letzten Bundestagswahlkampf haben die »Brings« für die SPD gespielt. Stephan wollte Merkel verhindern. Dass nun gerade die Sozis, für die er Reklame gemacht hatte, jene Dame zur Kanzlerin wählten, wurmt ihn im Nachhinein natürlich. Einen Trost hat er: »Die FDP ist nicht drangekommen. Yeah!« Ob er für die Linke Liste spielt? Für Gysi würde er sofort auftreten. »Der hat kapiert, dass man nicht sofort Siemens enteignen kann.« Ansonsten käme es immer auf die Personen an, für die er eintritt. Solange die DKP in Köln noch ihre eigene Prunksitzung feierte, trat Brings dort auch auf. Karneval und Kommunismus, so erklärt Stephan Brings, sei übrigens überhaupt kein Widerspruch. Früher habe der Karneval die Funktion gehabt, die Herrschenden auf die Schippe zu nehmen. Mit den bunt verkleideten Gardesoldaten habe man sich über die Franzosen und Preußen lustig gemacht. »Wenn die ihre Hinterteile auf der Bühne aneinander reiben, dann ist das doch Verarsche!« Später erst wurde eine andere Interpretation dieses befremdlich wirkenden Tanzes verbreitet. Den Soldaten sei bei ihrem Wachdienst auf der Stadtmauer immer kalt geworden, und so habe man versucht, sich zu wärmen. Diese Tradition werde auf den Karnevalsbühnen nachgespielt. Das klingt natürlich überhaupt nicht plausibel, aber eben auch nicht so aufrührerisch. Auch jetzt noch ist der Kölner Karneval für Stephan Brings so faszinierend, weil er in vielen Bereichen keine sozialen Unterschiede kennt. Narren sind alle gleich. Brings hat aber auch keine Berührungsängste zu politisch Andersdenkenden. Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Reichstag, ist Präsident der Karnevalssitzung im nahegelegenen Bergisch-Gladbach. »Ich versteh mich mit dem gut«, erklärt Brings. Genauso gut wie mit dem Oberbürgermeister von Köln, Fritz Schramma. Der CDU-Mann ist bestimmt nicht sein politischer Freund. »Aber der Schramma kann feiern, weil der Schramma ein Demokrat ist. Und das zählt.« Bei den Rechtsextremen ist das natürlich anders. »Ich würde niemals auf 'ner Sitzung von der Deutschen Liga spielen. Höchstens wenn ich 'ne Pistole dabei hätte.« Aber rechts von der CDU wird in Köln sowieso kein Karneval gefeiert. Die tollen Tage sind für Menschen, die keine Rheinländer sind, ein Phänomen. In mancher Kölner Eckkneipe sitzen elf Monate im Jahr nur ein paar unentwegte ältere Herren an der Theke, trinken das ortsübliche wässrige Bier, das Kölsch heißt. Zu Altweiberfastnacht füllt sich die Gaststätte dann so sehr, dass im Gedränge Gäste weder herein noch hinaus, geschweige denn zur Toilette gelangen können. Alles, was seitens der katholischen Kirche verboten ist, findet ungehemmt statt. Begehre Deines Nächsten Weib. Für viele Teilnehmende gilt es als verpönt, zwischen Donnerstagmorgen und Dienstagnacht Zeit im eigenen Bett zu verbringen. Für Außenstehende ist dies zumindest befremdlich zu beobachten. Stephan Brings kann von solchermaßen kulturgeschockten Bekannten berichten. Vor Jahren bekam er mal Besuch von einer Freundin aus Hamburg. »Wir haben die mit in die Südstadt genommen. Die hat zwei Stunden gebraucht, bis die begriffen hat, dass das echt ist. Wir haben die da reingeschubst und gesagt: Viel Spaß! An dem Abend haben wir die nicht wieder gesehen. Mit dem Typen, den sie dann kennen gelernt hat, ist die heut noch zusammen.« Wenn man penetrant genug fragt, bekommt man aus Stephan Brings aber dann doch noch ein paar karnevalskritische Töne heraus gequetscht. Manche Karnevalslieder findet der Musiker furchtbar. »Der Dom in Kölle«, »Kölle am Rin«, »Kölsche Mädche bütze besser«, all diese abgedroschenen Phrasen will er nicht mehr hören. Man kann doch auch ganz andere Dinge erzählen. Die »Bläck Fööss«, Urgestein des Kölner Karnevals, haben es mit ihrem bekanntesten Lied »En unserem Veedel« doch vorgemacht. Es gab eine Straße, die ging quer durch das alte Köln. Die ist von einer Stadtautobahn durchschnitten worden und war von der Bildfläche verschwunden. »Wenn dieser Hit gespielt wird, steht allen das Wasser in den Augen. Auch denen, die 20 Jahre nach Erscheinen des Lieder geboren sind.« Deshalb findet Stephan Brings Karneval so gut. Es gehe nicht um zwanghaftes Lustigsein, sondern um die Möglichkeit, alle Gefühle zeigen zu können, mal Mensch sein zu können. Natürlich gibt es im Karneval, so Brings, auch Bestrebungen, Zensur auszuüben. Diese sind aber in der Regel zum Scheitern verurteilt. Sogar die altehrwürdigen »Bläck Fööss« haben mal Ärger mit dem offiziellen Kölschen Karneval bekommen. Ihren Titel »Am Arsch der Welt«, der sich kritisch mit der Bundeswehr auseinandersetzte, sollten die »nackten Füße« auf den großen Sitzungen nicht spielen. Da hätten, so berichtet Stephan Brings, die Bläck Föös gesagt: »Was wollt ihr uns im Kölner Karneval verbieten? Wir sind der Kölner Karneval.« Das Lied wurde zu einem Hit und natürlich überall gesungen. Ähnlich erging es der Band »Brings« mit vielen ihrer Songs. Ihr erster Karnevalshit »Superjeilezick« fängt mit der Zeile an: »Mach noch eens die Tüt an«. Diese Aufforderung, Haschisch zu rauchen, wurde zunächst allerdings von den Älteren im Publikum nicht verstanden. »Das schöne war ja, dass diese erzkonservativen Knochen von dem Festkommitee in ihren Uniformen mitgesungen haben. Vom Firmenleiter von Ford bis zum Chef des lokalen Energieversorgers, alle haben nicht gewusst, was Tüt heißt«, schmunzelt Stephan Brings. Erst als die Boulevardzeitungen wetterten, dass hier Rauschgiftkonsum verherrlicht werde, dämmerte es den Herren, dass damit eine Cannabiszigarette gemeint ist. Der Präsident des Festkomitees, also der ranghöchste Kölner Karnevalist, schrieb dann alle Vereine an, dass man die Band »Brings« ausladen solle, aus dem jeweiligen Programm streichen müsse. Doch damit bewirkte er genau das Gegenteil. Überall musste Brings spielen, beim Gewerkschaftskarneval sowieso, aber auch auf kleinen Festen in katholischen Pfarrheimen. Und überall wurde nach der »Superjeilezick« verlangt. Natürlich waren nicht alle mit dem Text einverstanden. Aber reinreden ließen sich die kleinen Vereine eben auch nicht gern. Und so wurde durch den Skandal das Lied zum Hit. Mit dem Autorenhonorar, so gibt Stephan Brings unumwunden zu, hat er sein kleines Reihenhaus im Norden von Köln bezahlt. »Wenn ich das Lied nicht geschrieben hätte, würde ich jetzt noch in einer Mietswohnung leben.« Sein Geld hat er also mit einem verruchten Lied verdient. Dabei ist Stephan eher Asket. In seiner knapp bemessenen Freizeit fährt er mit dem Fahrrad gern in einem großen Bogen ein paar Stunden lang um Köln herum. In seiner berüchtigt schnoddrigen Art erklärt er: »Ich bin Nichtraucher. Wenn ich voll an nem Joint ziehen würde, würde mir die Lunge zum Arsch rausfliegen.« Ihm gefällt die Provokation, an dem Rauschkraut hat er kein Interesse. Inzwischen, ein paar Jahre und Skandale sind durchs Land gegangen, müssen die Brings nicht mehr überall anecken. Ihren aktuellen Hit »Hay Hay Hay« spielen sie nicht auf Karnevalssitzungen. Wieder könnte man den Text als Verherrlichung von Drogenkonsum verstehen. Und so hat man dieses Mal zähneknirschend dem Festkomitee zugesichert, auf die neue fetzige Polka zu verzichten. Vielleicht hat Stephan Brings Frieden mit seiner Stadt gefunden. Schon früher war er nicht immer der polternde Rebell. Bei der Totenmesse für Willi Millowitsch 1999 war er dabei. Es war das allererste Mal in der Geschichte des Kölner Doms, dass auf der Orgel ein weltliches Lied gespielt wurde. Und zwar: »Ich bin en Köllsche Jung«. »2000 Leute im Dom waren am Heulen. Ich auch«, gibt Stephan Brings zu. Zum Christentum hat er ein gutes Verhältnis: »Ich war 15 Jahre in der DKP, aber ich bin immer noch in der katholischen Kirche. Manche nennen es Bergpredigt. Ich nenn das die verbesserte Form vom Kommunistischen Manifest. Die Kirche wird sich ändern. Ich werd das noch erleben. Irgendwann wird ein Lateinamerikaner Papst, und dann wird aufgeräumt.«
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