Die Kohle soll ein Ende haben

Demonstranten kritisieren mangelnden Ausstiegswillen bei der Bundesregierung

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein fast 100 Meter langer, gelber Stoffteppich liegt ausgerollt vor dem Kanzleramt. Zu beiden Seiten sitzen und knien Menschen, die ihre Handflächen mit schwarzer Fingerfarbe bestreichen und Abdrücke auf dem Banner hinterlassen. Bei einigen findet sich die Farbe auch auf Stirn und Wangen wieder. In regelmäßigen Abständen tönt aus Lautsprechern die Aufforderung, gemeinsam die schwarzen Hände in die Luft zu strecken. Die Aktion unter dem Slogan »Eure Hände für den Klimaschutz« ist Teil der Demonstration für den Ausstieg aus der Kohlverstromung. Rund 2500 Menschen zogen am Sonntag lautstark durch das Regierungsviertel. Angemeldet hatte das Organisationsbündnis aus über 30 Umweltschutzorganisationen etwa 5000 Protestierende.

Die Demonstration soll Druck auf die am Dienstag erstmals tagende Kohlekommission machen. Gefordert wird unter anderem ein Sofortprogramm, das die Einhaltung des 2020-Klimaschutzziels ermöglicht, den Stopp aller Pläne für neue Kohlekraftwerke und Tagebauerweiterungen sowie den kompletten Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2030. Auch an rund 40 anderen Orten in Deutschland, etwa in Hamburg und Aachen, trafen sich Umweltschützer zu Protestaktionen.

Die Demonstration fällt in klimapolitisch kritische Zeiten. Wurde die Bundesregierung noch vor einigen Jahren als Vorreiter in Sachen Energiewende gesehen, sendet sie nun gegenteilige Signale. Erst vor einer Woche beim Petersberger Klimadialog machte Umweltministerin Svenja Schulze erneut klar, dass Deutschland das Klimaschutzziel für 2020 verfehlen werde. Sie verglich die Klimapolitik mit guten Silvestervorsätzen, die Jahr um Jahr wieder aufgelegt werden.

Martin Kaiser von Greenpeace zählt die Folgen des Nichtstuns auf: »Fluten, Wirbelstürme, Hitzewellen und Dürren sorgen für Vertreibung, Rezession und die Destabilisierung demokratischer Systeme.« Die Bundesregierung trage dafür eine Mitverantwortung.

Greenpeace und der BUND sind Teil der sogenannten Kohlekommission. Gemeinsam mit Politikern von Union und SPD, Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Wirtschaftsvertretern sollen sie einen Fahrplan für den Kohle-Ausstieg erarbeiten. Schon vor der ersten Sitzung wird aber deutlich, dass die Prioritäten weit auseinander liegen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) erklärte, es werde keinen Ausstieg vor 2030 geben. Er wolle zunächst über Arbeitsplätze zu sprechen, danach über den Strukturwandel und zuletzt erst über die Frage von Stilllegungen.

Christoph Bautz von Kampagnennetzwerk Campact bezeichnet den Wirtschaftsminister auf der Demonstration als »größten Bremsklotz« in Sachen Klimaschutz. Und René Schuster, der sich in der Lausitz bei der Grünen Liga engagiert, kritisiert die Reden vom Strukturwandel als scheinheilig. Für ihn sei es schwer erträglich, dass mit Stanislaw Tillich und Matthias Platzeck zwei ehemalige Ministerpräsidenten aus Kohleländern die Kommission leiten werden. Die hätten Industrie und den Arbeitern vor Ort bis zuletzt eingeredet, es würde ewig so weiter gehen. Auch Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser macht deutlich: »Die Kohlekumpel sind nicht unsere Gegner« Es dürfe nicht passieren, dass nun die existenzielle Not durch Klimawandel gegen wirtschaftliche und soziale Interessen vor Ort ausgespielt werde. Dass ein Weiter-So keinesfalls im Interesse aller Bürger vor Ort liegt, macht neben Schuster auch Antje Grothus aus NRW klar. »Wir brauchen Solidarität mit den Menschen in den Braunkohlerevieren«, sagt sie. Denn »die Bagger von RWE machen vor nichts Halt« und beraubten durch die Ausweitung der Tagebaue tausende Menschen ihres Zuhauses und ihrer Zukunftsperspektiven.

Im Regierungsviertel ist es an diesem Sonntag - wie so oft, wenn Umweltschutzverbände auf die Straße rufen - bunt und laut. Neben zahlreichen Schildern mit schwarzen Händen und Anti-Kohle-Sloganes schweben über der Menschentraube große Erdbälle und rauchende Schornsteine aus Schaumstoff. Die sollen auch am Dienstag vor dem Wirtschaftsministerium wieder zum Einsatz kommen, wenn drinnen die Kommission zusammentrifft. Man sei nicht hier, weil man wolle, dass diese scheitert, erklärt Michael Müller von den Naturfreunden. Aber, so der Tenor auf der Demonstration, verlassen sollte man sich nicht auf sie. Greenpeace und der BUND können dann zum ersten Mal ihre Doppelaufgabe proben: Am Tisch einen Konsens aushandeln, auf der Straße Druck machen.

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