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  • Ausstellung „Abstraktion“

Schönheit der formlosen Flächenkunst

Gerhard Richter im Palais Barberini Potsdam

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.
Gerhard Richter im Museum Barberini ....
Gerhard Richter im Museum Barberini ....

Da ist er also nun an diesem inzwischen schnell zum Traditionsort gewachsenen Platz: Gerhard Richter im Potsdamer Palais Barberini. Das war ein vom Haus lange geplantes Projekt. Nun mustergültig realisiert. Wie stets, wenn Leihgaben tief aus den verschwiegensten Verließen von Sammlungen herbeigeholt werden, gibt es eine Revue von bisher so noch nicht Gesehenem. Zauber des Raumes: Die Säle inszenieren in feiner Abstimmung diese kleinen oder großen Flächen, die eine Welt bedeuten wollen. Um eine genau dies über alle Maßen lobende Publicity müssen wir uns keine Sorgen machen. Denken wir ein wenig nach.

Man muss den Maler mit dem auswechselbaren Namen und dem unverwechselbar hohen Konto nicht mehr vorstellen. Im Gegenteil: Man tut gut daran, ganz schnell alles beiseite zu lassen, was an hochgestochenem Schwachsinn und an katastrophaler Überbewertung medial im Allgemeinen so rüberkommt. Mein Tipp: Unvoreingenommen dem Kunstgenuss hingeben, und in vollen Zügen genießen. Die Ernüchterung kommt erfahrungsgemäß immer hinterher.

Was wir sehen, ist überraschend vielgestaltig, vielformatig und vielfarbig. Breit gefächert das Spektrum. Dennoch nur eine Dimension: Fläche. Das Bild hat nun mal nur vier Seiten und vier Ecken. Innerhalb dieses Formates wird selbst im Abstraktesten eine schöne Illusion gegeben: Halt Kunst. Unser Auge bekommt Futter.

Und das wird viel kulinarischer serviert, als vermutet. Der malende Tüftler ist Sanguiniker. Das trübste Motiv muss dennoch Wohlgefallen schaffen. Es hat etwas ganz Persönliches. Jenseits vom Diesseits, meint er. Und wird doch von der Realität der Fläche zurückgeholt. Am Ende bleibt ein abstrahiertes Abbild des Materials. Jegliches Wirkliche verwischend, unkenntlich machen will er. Doch unser Auge als Organ des genauen Sehens und Erkennens weigert sich immer wieder, diese Umkehr mit ihm zu vollziehen. Es genießt, ohne denken zu müssen. Hier regiert das Prinzip Unschärfe. Nichts muss definiert werden. Oft genug negiert er als oberster Graumaler der Bundesrepublik jegliche Farbigkeit. Grauwerte als echter Wert. Was jahrzehntelang Westbesucher am Erscheinungsbild der DDR nervte, macht er kunstwürdig. Ein verblüffender, doch begrenzter Effekt.

Farben treten an in Reih und Glied. Streng geordnet diszipliniert. Volle Gleichberechtigung im Reich der Farben als perfekte Demokratie. Wenn schon Farbigkeit, dann kommandieren die Regenbogenfarben Grün, Gelb, Rot, Lila, Blau. Gewürfelt oder gestreift, das variiert.

O ja, all das zu entdecken, macht schon Spaß. Konsequent das Durchschnittliche, genormt Ausdruckslose zu kultivieren - auch das kann große Kunst sein. Die Ausdruckskraft der eigenen Hand zu verleugnen, und alles und jedes dem Tun des Fotoapparates anzuvertrauen:

Welches Opfer! Grandios, das bis zu dieser Konsequenz vorzuexerzieren. Das ist das genaue Gegenteil des großartigen deutschen Expressionismus. Man denke an seine überbordende Ausdruckskraft! Das hier mutet an wie Apparatemedizin. Nur ohne Mensch. Fühlend Menschenherz, erregend Menschenwut hat draußen zu bleiben.

Ja bitte, die Ausstellung heißt »Abstraktion«. Wie das? Das Einerseits des Totalabstrakten entspricht dem Andererseits des Totalrealen. Bei Januskopf Gerhard Richter gibt es die Seite des fotografischen Minimalismus der reinen Sachdarstellung. »Kapitalistischer Realismus« hat er das in seinen Düsseldorfer Anfängen sehr treffend benannt. Nachdem er dem selbst sklavisch praktizierten sozialistischen Solchen rechtzeitig entronnen war, blieb er akkurat seiner fatalsten Variante treu: der »Widerspiegelung«. Es ist kein Zufall, dass Spiegelungen auch des Totalabstrakten ihn weiterhin umtreiben. Auf seine gütige, sanfte Art.

Malgründe jeder Größenordnung werden in exakter Präzision beschichtet, berakelt und anderweitig mechanisch bearbeitet. Das Rakeln ist ein Kinderspiel - Beuys muss es gemeint haben, als er jedermann Künstler nannte. Geheimnisse bringt lediglich der Zufall zustande. Das Ungefähr birgt nur eine Gefahr: Die Formlosigkeit. Es ist eben wiederum kein Zufall, dass das alles eine Flächenkunst bleibt. Lediglich eindimensional? Bedingt. Denn zumindest bei den »Gitterbildern« gibt es eine vage zweite Dimension. »Gitterschlieren« steht dann da. Die meisten Bilder bleiben titellos, also namenlos. Schwer, sie hier als Gedächtnishilfe zu benennen. Einzig, wo zwei Bilder von 1994 »März« und »Mauer« heißen, geht plötzlich die Post ab: Richtung lockere Hand, Aufatmen, Leben. Oder die Serie von Digitaldrucken von 2013: »Flow« genannt, bricht da ein für Richter ganz fremder Farbzauber aus, und man weiß: Das Leben hat ihn noch.

Die Endlichkeit des Bemühens, unendliche Perfektion zu erzielen, endet in einem seltsamen Nullprinzip. Samuel Beckett hat das literarisch längst in höchster Vollendung vorgemacht.

Originalton Richter: »Meine Bilder sind gegenstandslos: Somit sind sie inhaltslos, bedeutungs- und sinnlos wie Gegenstände oder Bäume, Tiere, Menschen oder Tage, die da sind ohne Grund und Ziel. Um diese Qualität geht es.« Folgerichtig gibt der Künstler sich auf, indem er sich gehen lässt. Er geht. Und tappt dabei in die Technikfalle. Er produziert nicht mehr selbst. Er reproduziert. Er lässt produzieren. Nach einem ihm fremden Gesetz. Das ihn letzten Endes negiert.

Hier steht ausschließlich das Totalabstrakte im Mittelpunkt. Insofern ist der Ausstellungstitel »Abstraktion« ungenau. Er suggeriert den Prozess des Abstrahierens. Und den vollzieht alle originär schöpferische Kunstbetätigung. Heute mehr als je zuvor. Das gegenwärtige Machen von Kunst birst geradezu von der gegenseitigen Durchdringung realistischer und abstrakter Elemente. Gerhard Richter markiert einen Endpunkt. Dahinter geht es nicht weiter. Dass das sanfte Abgleiten in die totale menschliche Ausdruckslosigkeit eine verführerische Faszination ausübt - das sollte uns nicht überraschen. Der morbide Charme des Untergangs spiegelt alle Farben trügerischen Hoffens auf Anderes.

Man kann eben doch über Gerhard Richter nicht philosophieren, ohne seine monetäre, also mediale Präsenz in den Blick zu nehmen. Er mag sich in seiner unendlichen Bescheidenheit dagegen sträuben: Als Multimillionär rangiert er so weit hoch über, also schräg neben dem Gros der Künstlerschaft - da gibt es keine gemeinsame Basis mehr. Die Distanz zu ihm besonders in seiner Heimatstadt Dresden ist programmiert. Die verordnete Kritiklosigkeit seinem Werk gegenüber sollte ihn stutzig machen. Das klar identifizierbar vom Kapital ideologisierte Weltbild eines Künstlers, der absolute Abstinenz von Meinungsdeutung predigt, ist schon fast zum anbetungswürdigen Religionsersatz geworden. Wallfahrtsorte inklusive. Ist es das Fatum der Anbetung des Geldes?

»Gerhard Richter: Abstraktion«, bis zum 21. Oktober im Museum Barberini, Potsdam

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