Eine Frage der Wortwahl

Die SPD hatte Transitzentren einst abgelehnt. Nun will sie diese Lager nur anders nennen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die SPD-Führung will sich nicht drängen lassen. Auf die Fragen, wie sie sich zu den von CDU und CSU geforderten Transitzonen positionieren wird, antworteten zahlreiche Spitzengenossen am Dienstag, sie könnten den Kompromiss im Streit der Unionsparteien noch nicht zweifelsfrei deuten. »Worüber wir jetzt hier reden, das wissen wir noch gar nicht so genau«, behauptete etwa der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner in einem Interview mit dem NDR.

Die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sagte, dass die Sozialdemokraten den Begriff »Transitzentren« ablehnten. Zudem betonte sie, dass es noch ungedeckte Schecks gebe. In diesem Zusammenhang nannte Nahles fehlende Abkommen mit Italien und Österreich, die Geflüchtete, die nach Deutschland einreisen wollen, nach dem Willen der Union zurücknehmen sollen. Eine eindeutige Ablehnung war von Nahles nicht zu vernehmen.

Für die Sozialdemokraten ist das Thema heikel. Denn sie hatten noch im Jahr 2015 die Errichtung von Transitzentren abgelehnt und darauf hingewiesen, dass es sich dabei um »Massenlager im Niemandsland« handeln würde. Damals wollte die CSU, dass alle neu ankommenden Geflüchteten in diesen Zentren interniert werden. Nun heißt es in dem gemeinsamen Papier von CDU und CSU, dass Asylbewerber in die Transitzentren gebracht werden sollten, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig seien. Hintergrund der Forderung ist die Dublin-Regelung, die besagt, dass grundsätzlich der EU-Staat das Verfahren durchführen muss, in den ein Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist.

Sollte die SPD nun der verschärften Abschottungspolitik durch Transitzentren, aus denen die Schutzsuchenden direkt und ohne ausreichende Prüfung direkt abgeschoben werden sollen, zustimmen, würde sie einmal mehr dem Willen der Union in der Asylpolitik folgen. Außerdem hatten Präsidium und Vorstand der SPD am Montag einen Beschluss gefasst, in dem geschlossene Lager für Geflüchtete abgelehnt werden.

Angesichts dessen gibt es nun intern bei den Sozialdemokraten ebenso wie mit der Union noch einigen Gesprächsbedarf. Für den Dienstagabend war ein weiteres Treffen der Spitzenvertreter im Koalitionsausschuss geplant. Am Mittwochmorgen wird dann eine Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion stattfinden.

Einige Sozialdemokraten drängten ihre Führung, die Forderungen des Koalitionspartners abzulehnen. Der linke SPD-Verein Forum DL 21 forderte seine Genossen dazu auf, »standhaft« zu bleiben. »Tragt eure Haltung im Herzen, nicht eure Posten«, heißt es in dem Aufruf der DL 21. Zusammenfassend forderte der Verein: »Egal, ob es Transitzentren oder Internierungslager heißt, die Antwort der SPD muss lauten: Nein!«

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert. Der Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt, erklärte, dass nach dem Vorstoß der Unionsparteien »praktisch komplette Grenzkontrollen« eingeführt werden müssten, weil die Menschen vorher nicht einreisen dürften. Er sagte, dass die Forderungen von CDU und CSU »keinesfalls tragbar, rechtlich fragwürdig und auch nicht Teil des lange diskutierten Koalitionsvertrages« seien. Bozkurt warnte seine Partei davor, diese Politik zu unterstützen. »Dann würde sich das Bild der haltungslosen Taktierer festsetzen, gegen den wir mit dem begonnenen Erneuerungsprozess intensiv arbeiten«, sagte er.

Nicht nur Vertreter des linken SPD-Flügels übten Kritik. Auch führende sächsische Sozialdemokraten äußerten sich ablehnend. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) teilte mit, dass er nicht wisse, welches Problem durch die geforderten Transitzentren gelöst werden könne. Dagegen schloss Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Transitzentren in Sachsen nicht aus: »Wenn sich das bewährt, warum sollte man das nicht an anderen Grenzübergängen einsetzen.«

Viele Sozialdemokraten, darunter der Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, warben am Dienstag für den Fünf-Punkte-Plan, den die Sozialdemokraten am Vortag zur Asylpolitik beschlossen hatten. Dieser solle anstelle der Forderungen der Union umgesetzt werden, lautete der Tenor. In dem SPD-Papier werden »Weltoffenheit« und die »humanitäre Verantwortung« Deutschlands betont. Zugleich werden verschärfte Bedingungen für viele Geflüchtete gefordert, die in die Bundesrepublik einreisen wollen. So fordert die SPD beschleunigte Verfahren für Schutzsuchende, die bereits in einem anderen Staat der Europäischen Union registriert wurden und dort einen Asylantrag gestellt haben.

Unter welchen Umständen solche Verfahren durchgeführt werden sollen, lassen die Sozialdemokraten offen. Sie versprechen nur, dass dabei »rechtsstaatliche Kriterien« eingehalten werden sollen. Dabei würde es in allen Fällen darauf hinauslaufen, dass die Betroffenen die Bundesrepublik ohne eine gründliche Prüfung ihres Antrags schnell wieder verlassen müssen. Somit zeigt sich, dass Union und SPD grundsätzlich das gleiche Ziel verfolgen. Allerdings wollen die Sozialdemokraten den Anschein erwecken, als verteidigten sie noch die letzten verbliebenen rechtsstaatlichen Standards in der Asylpolitik.

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