Rot-schwarzer Zoff um Landärzte

Niedersachsen: SPD will künftige Mediziner mit Studienplatz locken - Koalitionspartner CDU gegen Quotenregelung

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Der gute Doktor Martin Gruber hat immer Zeit für seine Patientinnen und Patienten, ist beim Untersuchen und Behandeln fast durchweg gut gelaunt, macht Visiten auch im fernsten Kaff und praktiziert gern in seinem kleinen Heimatdorf. Der ideale Landarzt! Zum Hausbesuch kann man ihn mit der Fernbedienung rufen: auf den TV-Bildschirm, immer dann, wenn »Der Bergdoktor« auf dem Programm steht. In der Realität aber zieht es immer weniger Mediziner aufs Dorf - Landärzte werden bekanntlich knapp, nicht nur in Niedersachsen.

Dort hatten SPD und CDU zu Beginn ihrer Koalitionsregierung vertraglich festgeschrieben: Um dem Mangel an Hausärzten im ländlichen Bereich zu begegnen, sollen »Anreizsysteme« geschaffen werden. Die SPD-Landtagsfraktion hat jetzt konkretisiert, wie solch ein Anreiz aussehen kann. Sie will eine »Landarztquote« einführen.

Viele Bundesländer wollen die Quote

Premiere hat die Landarztquote in Nordrhein-Westfalen. Ein Gesetzentwurf besagt: Außerhalb des regulären Vergabeverfahrens sollen 7,6 Prozent der Studienplätze im Fach Medizin an Bewerberinnen und Bewerber gehen, die sich verpflichten, nach ihrer Ausbildung für zehn Jahre in einer unterversorgten Region als Hausarzt zu arbeiten. NRW wird von einer CDU/FDP-Koalition regiert.

In nahezu allen Flächenländern Deutschlands stehe voraussichtlich die Einführung einer Landarztquote ins Haus, heißt es in einer Mitteilung der Ärztevertretung Hartmannbund. Er lehnt die Quote strikt ab, auch der Ausschuss Medizinstudierende im Hartmannbund habe sich dagegen stark gemacht. Bayern habe sie fest eingeplant, so die Organisation. In Rheinland-Pfalz seien erste Weichen dafür gestellt worden, so gut wie sicher sei die Quote für Sachsen-Anhalt.

In Schleswig-Holstein wolle das Regierungsbündnis aus CDU, FDP und Grüne eine entsprechende Regelung, angestrebt sei sie auch in Baden-Württemberg, Sachsen und im Saarland. Keine Signale in punkto Landarztquote gibt es laut Hartmannbund aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Hessen und Thüringen. haju

Erfüllen ließe sie sich, meinen die Sozialdemokraten, über die Vergabe der begehrten Studienplätze im Fach Medizin. Jene Bewerberinnen und Bewerber, die sich verpflichten, nach dem Studium als Arzt oder Ärztin auf dem Land zu praktizieren, sollen garantiert einen solchen Platz bekommen.

Ob die SPD das durchsetzen kann, ist zweifelhaft, denn: Vom Koalitionspartner kommt Gegenwind. Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) lehnt die »Landarztquote« ab. Er warnt: Es sei lebensfern, zu erwarten, dass sich junge Menschen schon zu Beginn eines Studiums für eine anschließende langfristige Berufstätigkeit in einer ländlichen Region entscheiden und verbindlich festlegen. Ähnlich ablehnend steht die FDP dem Vorschlag der Sozialdemokraten von Ministerpräsident Stephan Weil gegenüber.

Björn Thümler müsse »seine Blockadehaltung dringend überdenken«, fordert der Generalsekretär der Niedersachsen-SPD, Alexander Saipa. Steuere das zweitgrößte Bundesland doch in vielen ländlichen Räumen auf eine ärztliche Unterversorgung zu. Während sich der Minister quer stelle, seien seine Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen schon deutlich weiter und zeigten, wie eine Landarztquote aussehen kann, erklärte Saipa. Tatsächlich hat die CDU-geführte Landesregierung in NRW unlängst im Landtag einen Gesetzentwurf zur Einführung jener Quote vorgestellt.

Strikt abgelehnt wird die Landarztquote auch von der Ärztekammer in Niedersachsen. Deren Präsidentin Martina Wenker meint, dass ein solches Verfahren der freien ärztlichen Berufsausübung widerspreche und ein sehr frühes Festlegen auf eine spätere Tätigkeit auf dem Lande nicht sinnvoll sei. Die Praxis zeige, dass sich berufliche Lebensläufe, biografische und familiäre Situationen aber auch Ortspräferenzen während des Studiums und auch danach ändern können.

Auch bestehe das Risiko, so Kammerpräsidentin Wenker, dass sich ein beachtlicher Teil von Landärzten später aus ihrer zu Beginn des Studiums eingegangen Verpflichtung wieder »freikaufen« wollten. Ein solcher Schritt könnte für die jungen Mediziner allerdings ziemlich teuer werden. Nordrhein-Westfalen plant immerhin, von Ärzten, die ihre Selbstverpflichtung am Ende nicht einhalten, 250 000 Euro »Strafzahlung« zu fordern.

Statt eine Landarztquote einzuführen, betont die Kammerpräsidentin, müsse mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die spätere hausärztliche Tätigkeit auch in unterversorgten Regionen attraktiv gemacht werden. Wie dies im Detail gemacht werden könnte, sagten weder Martina Wenker noch Minister Thümler. Schweigen dazu auch von den Liberalen, die dem Landärztemangel nicht mit einer Quote, sondern mit »positiven Anreizen« für künftige Mediziner begegnen wollen.

Bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Koalitionäre die Sache nun ausfechten. Kenner der Politszene in Hannover sehen bereits eine gewisse Brisanz des Themas, was den Zusammenhalt des Bündnisses angeht. In der der Staatskanzlei ist man gelassener. Von dort heißt es, vorerst gelte es, unter anderem angesichts der Entwicklung in Nordrhein-Westfalen, Erfahrungen zu sammeln. Und: Eine Entscheidung zum Ganzen gebe es in Niedersachsen voraussichtlich erst 2020.

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