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Ein weiterer Schlag ins Gesicht

Mit Ralf Wohlleben ist nun der zweite Neonazi und NSU-Helfer in Freiheit

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ralf Wohlleben - oder »Wolle«, wie ihn seine Nazikameraden nennen - ist aus dem Gefängnis freigekommen. Der Waffenbeschaffer des NSU konnte am Mittwochmorgen die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München verlassen, wie eine Sprecherin der Einrichtung mitteilte. Die Entlassung des 43-jährigen war bereits vermutet wurden, nicht jedoch, dass sie so rasch vollzogen wird. Sicherheitsbehörden rechnen damit, dass der frühere NPD-Kader nach Sachsen-Anhalt zieht.

Im NSU-Prozess war Wohlleben zu zehn Jahren Haft verurteilt worden - womit man zwei Jahre unter der Forderung des Generalbundesanwalts blieb. Das Gericht hatte ihn der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Er soll unter anderem die Mordwaffe besorgt haben, mit der die NSU-Opfer erschossen worden sind. Da Wohlleben bereits zwei Drittel der Strafe in der Untersuchungshaft abgesessen hatte, konnte er einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls stellen. Aus Sicht der Richter bestehe nun keine Gefahr mehr, dass er fliehen könnte.

Unter Politikern, Antifaschisten und Opferangehörigen sorgte die Ankündigung von Wohllebens Freilassung für Unverständnis. »Wohlleben aus der Haft zu entlassen, mag juristisch möglich sein - die politische Signalwirkung ist fatal«, erklärte die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (LINKE). »Für Angehörige und Betroffene ist es ein weiterer Schlag ins Gesicht, für die Neonazi-Szene stellt die Freilassung einen Sieg und eine Stärkung dar.« Man werde »Konsequenzen« spüren.

Der Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer übte ebenfalls scharfe Kritik. »Die heutige Haftentlassung ist Folge der milden Strafe für einen der wichtigsten Helfer des NSU«, so der Anwalt von Gamze Kubasik, der Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik. »Während Gamze Kubasik weiter auf die versprochenen Antworten, weiter auf Aufklärung des Mordes an ihrem Vater wartet, lassen sich nun zwei der maßgeblichen NSU-Unterstützer draußen von der Neonaziszene feiern«, führte Scharmer aus. Bereits am vergangenen Mittwoch war der NSU-Mitangeklagte und bekennende Neonazi André Eminger aufgrund einer milden Strafe freigekommen. »Für Gamze Kubasik und ihre Familie ist das als Ergebnis des über fünf Jahre lang andauernden Prozesses bitter.«

Die Nebenklage-Anwältin Doris Dierbach warnte vor einem Fluchtversuch Wohllebens. »Er könnte sich von jetzt auf gleich mit seiner Familie ins Ausland absetzen - vielleicht in eine Ecke, wo Rechtsextremisten durchaus willkommen sind«, sagte sie dem »Spiegel«. »Das alles irritiert mich, aber es passt zur Entscheidung im Fall von André Eminger.«

Die Türkische Gemeinde Deutschlands klagte auf Twitter: »Ralf Wohlleben kehrt wohl bald nach Jena zurück. Das ist alles schwer zu ertragen. Der Rechtsstaat und seine Institutionen versagen auf ganzer Linie!«

Das »Tribunal NSU-Komplex auflösen« erklärte, dass die Gefahr des Rechtsterrorismus nicht gebannt sei. »Das Terrornetzwerk des NSU wurde durch das Gericht nicht aufgedeckt - der NSU läuft frei herum«, sagte Tim Klodzko, der Sprecher der Initiative. Er führte aus: »Das Urteil und die Aufhebung der Haftbefehle haben eine verheerende Signalwirkung an die Nazis: Wer mithilft, zehn Menschen umzubringen, kann mit einer milden Strafe rechnen.« Es könne jederzeit »von vorne losgehen«.

Auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer warnte am Mittwoch vor einem Erstarken der rechten Szene durch Wohllebens Freilassung. »Er ist ein Held in der Szene. Er hat stets geschwiegen. Wir werden aber ein besonderes Auge auf ihn haben.« Die Landtagsabgeordnete König-Preuss kritisierte, dass Kramer nur das wiederhole, was Antifaschisten bereits seit Wochen sagen würden.

Kritik an dem juristischen Verfahren kommt derweil auch von Forschern. Professor Hajo Funke hatte für den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg den Bericht »NSUMordserie, Staatsversagen, Rassismus und Konsequenzen« verfasst. »Die Bilanzen der Opferfamilien sind Beispiele einer Täter-Opfer-Umkehr«, heißt es in einer Mitteilung zum Bericht. »Aus ihnen wird sichtbar, dass die Aufarbeitung der NSUMordserie weitgehend gescheitert ist.« Daran würden auch das Gericht wie der Generalbundesanwalt durch das Festhalten an der These des isolierten Trios Verantwortung tragen. »So zeigt auch das Urteil, dass es sich um eine weithin verpasste Chance der Aufklärung gehandelt hat.«

Diese Aufklärung scheint dabei umso wichtiger, da nun möglicherweise zwei rechtsradikale Terrorhelfer wieder auf freiem Fuß sind. Noch im Plädoyer seines Verteidigers ließ sich Wohlleben mit Hitlerzitaten verteidigen. Bereits Ende August könnte er laut Beobachtern bei einem Rechtskonzert der Hauptgast sein.

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