Israel wird »jüdischer Nationalstaat«

Knesset verabschiedet umstrittenes Gesetz, Palästinenser fürchten um politische Teilhabe

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Vier Jahre lange hatten Israels Politik und Gesellschaft über dieses Gesetz gestritten, unzählige Male wurde der Wortlaut überarbeitet, der Entwurf in die Schublade gesteckt, wieder hervor geholt. Bis dann am Mittwochabend Aiman Odeh von der Vereinten Liste, der gemeinsamen Parlamentsfraktion der arabischen Parteien, die endgültige Fassung demonstrativ zerriss und Regierungschef Benjamin Netanjahu von einem »historischen Moment in der Geschichte des Staates Israel und des Zionismus’« sprach. Kurz zuvor hatte die Knesset das Gesetz verabschiedet und ihm den Status eines »Grundgesetzes« verliehen. In Israel gibt es keine Verfassung, stattdessen räumen die Gerichte der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1948 sowie den Grundgesetzen, die grundlegende staatliche Funktionen und Rechte und Pflichten definieren, Verfassungsrang ein.

Das Nationalstaatsgesetz soll den jüdischen Charakter des Staates Israel festschreiben und zu seiner Förderung beitragen. Dabei schreibt die Beschlussfassung zu einem großen Teil bereits seit langem entweder gesetzlich geregelte oder praktizierte Dinge fest: die Flagge, die Nationalhymne, nationale Gedenk- und Feiertage, den Namen des Staates. Darüber hinaus wird aber auch festgelegt, dass »Jerusalem, komplett und vereinigt« die Hauptstadt ist, dass Hebräisch die offizielle Sprache ist und Arabisch einen »speziellen Status« hat. Israel sei nationale Heimstatt der Juden, »das Recht der nationalen Selbstbestimmung« in Israel stehe einzig dem jüdischen Volk zu.

Die Kritik am sogenannten Nationalstaatsgesetz ist groß. Nicht nur die arabischen Parteien, sondern auch die gesamte Opposition und Teile der Koalition, die rechte und religiöse Parteien umfasst, sind dagegen. Nur durch diverse Deals und massiven Druck gelang es Netanjahu, das Gesetz mit einer sehr dünnen Mehrheit von 62 zu 55 durchs Parlament zu bringen. Zwei Koalitionäre stimmten mit der Opposition, drei weitere verließen vor der Abstimmung den Saal.

Ein Passus, der es Kommunen ermöglicht hätte, ihren ethnischen oder religiösen Charakter durch Zuzugsbeschränkungen zu schützen, wurde kurz vor der Abstimmung gestrichen. Doch auch viele der verbliebenen Paragrafen stoßen nicht nur bei Arabern, die 17,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, auf heftige Gegenwehr. So wird die schwammige Feststellung, das Recht auf nationale Selbstbestimmung in Israel stehe allein dem jüdischen Volk zu, als Tür für eine Einschränkung der Teilnahme von Nicht-Juden an der politischen Willensbildung gesehen. »Man könnte vor Wahlen Kandidaten unter Bezugnahme auf diesen Paragrafen ausschließen,« sagt Odeh. Sprecher Netanjahus bestreiten das, doch vor allem am rechten Rand des Likud wird genau darüber bereits gesprochen. Vor allem ausgesprochene Zionismus-Kritiker wie die arabische Abgeordnete Hanin Zoabi sind der Rechten ein Dorn im Auge. Mehrmals wurde versucht, ihre Kandidatur zu verhindern. Stets intervenierte der Oberste Gerichtshof, der auf die Unabhängigkeitserklärung verwies, die Beteiligungsrechte »für alle Einwohner« garantiert und Meinungsfreiheit gewährt.

Doch nicht nur Araber könnten betroffen sein. Denn bis heute ist nicht geklärt, wer wann ein Jude ist. Die israelische Staatsbürgerschaft erhält, wer mindestens einen jüdischen Großelternteil hat. Doch die religiöse Definition wird vom orthodox dominierten Oberrabbinat nach strengen Regeln festgelegt. Da es in Israel keine zivilen Trauungen gibt, hängt von den Entscheidungen des Rabbinats auch ab, ob eine Eheschließung in Israel möglich ist.

Nach Angaben des Statistikamtes waren 2017 nur 62 Prozent der israelischen Staatsbürger als Juden registriert, die Religionszugehörigkeit wird in den Personalausweisen angegeben. Und so erklärt sich auch, warum auch rechte Parteien wie Jisrael Beitenu von Verteidigungsminister Avigdor Liebermann gegen das Gesetz sind: Ihre Wähler sind überwiegend Einwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Viele von ihnen sind rechts, definieren sich als Juden, werden aber nicht als Juden eingestuft. Dafür wäre ein orthodoxes Koversionsverfahren notwendig. Und das wäre aufwändig und teuer.

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