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Das richtige Maß von Macht

Dieter Nake erinnert an Portugals Nelkenrevolution, von der nichts blieb

  • Horst Röder
  • Lesedauer: 3 Min.

Dies ist ein sehr gutes, mit viel Fleiß und Sachverstand verfasstes Buch. Es bietet nicht nur eine Chronologie der Ereignisse Mitte der 1970er Jahre in Portugal, stellt auch die Akteure vor, die teils nicht mehr in Erinnerung, vor allem der jüngeren Generation unbekannt sind. Beispielsweise Vasco dos Santos Gonçalves, einer der führenden Köpfe im Movimento das Forças Armadas (MFA), die ein Ende der damaligen Kolonialkriege in den Überseeprovinzen Portugals forderte, und der dann zu jenen progressiven Militärs gehörte, die am 25. April 1974 in der so genannten Nelkenrevolution die Regierung des Diktator Marcelo Caetano stürzten - dank der breiten Unterstützung der Bevölkerung ohne Blutvergießen. Gonçalves war während der sogenannten Nelkenrevolution kurzzeitig Ministerpräsident der provisorischen Regierung, später Verteidigungs- und Informationsminister.

Dieter Nake schildert auch, wie die Euphorie verflog und Schritt für Schritt die Errungenschaften der Aprilrevolution abgebaut und Portugal in den vorrevolutionären Zustand zurückgeworfen wurde. Am Ende seines lesenswerten Buches schreibt er: »Doch revolutionäres Recht muss ... schnell auch Maß von Macht werden, um das Volk, die Bürger, nicht zum Objekt des Rechts zu degradieren.« Dieser Satz wäre vielleicht noch zu präzisieren: Die Macht in einem Staat verhält sich wie Medizin in einem Organismus. Eine zu hohe Dosis ist Gift. Und eine zu geringe reduziert die Heilungschancen. Zu viel Macht oder Machtmissbrauch führt nur wieder in eine Diktatur. Zuwenig Konsequenz bei der Machtfrage wirkt sich aber ebenso katastrophal aus. Das zeigte sich beispielsweise in der von den Nelkenrevolutionären vernachlässigten Bildungspolitik und bei der verspäteten Einbeziehung der Bauernschaft als Bündnispartner.

Die Leistung von Gonçalves kann man auch im Rückblick nicht hoch genug würdigen. Aber: Demokratie ist keine Garantie für eine fehlerfreie Regierungsgewalt. Auch die portugiesischen Sozialisten waren nicht frei von Fehlern. Vor allem die Konfrontation mit den Kommunisten musste sich fatal auswirken. Nake beschreibt, wie die kommunistische Partei, PCP, um die Einheit der Gewerkschaften gekämpft haben und die Sozialisten, Partido Socialista (PS), dagegen arbeitete.

Mitglieder der PCP waren meist Werktätige mit nur geringerem Einkommen und geringerer Qualifikation. Die Partei verstand sich als Interessenvertreterin der Lohnabhängigen gegen das große Kapital. Die soziale Basis der Sozialistischen Partei Portugals war nicht die Arbeiterklasse, sondern waren vielmehr das Kleinbürgertum sowie Kreise des mittleren Bürgertums. Mit dem Sturz des faschistischen Regimes gewannen die Sozialisten mehr Einfluss auf bestimmte Schichten der Werktätigen, insbesondere im Dienstleistungsbereich.

Gonçalves, der der PCP nahestand und von der PS unter Mário Soares heftig angegriffen wurde, setzte sich für eine Bodenreform, die Nationalisierung von Schlüsselindustrien, der Banken und Versicherungen sowie die Einführung von Mindestlöhnen ein. Vergesellschaftung verhindert eine Machtkonzentration in die Hände einiger weniger und schafft die Voraussetzung für soziale Sicherheit der Produzenten. Aber: Soziale Sicherheit fördert auch, wie die letzten Jahre der DDR zeigten, Leichtsinn im Umgang mit dem Gemeineigentum, mangelndes Interesse an einer effektiven Ausnutzung von Arbeitszeit und Material. Bildung und Erziehung für entsprechendes Bewusstsein sind also wichtig. Das mussten auch die portugiesischen Revolutionäre erfahren. Denn ein Schlüsselwort ist persönliche Verantwortung, was Gonçalves erkannte und als positive Bestimmung der Freiheit forderte, wie in diesem Buch nachzulesen ist.

Fazit: Ein Buch, das zum Nachdenken anregt über soziale und zugleich ökologische Verantwortung auch heute.

Dieter Nake: Portugiesischer April. Die Nelkenrevolution in Portugal 1974/75. PapyRossa, 183 S., br., 14,90 €.

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