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  • Frauenhäuser in Berlin

Ausweg mit Hindernissen

Der Weg aus dem Frauenhaus in die Eigenständigkeit ist für viele Betroffene schwer

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeden Tag werden Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Einen Ausweg aus der gewaltvollen Situation und einen sicheren Unterschlupf bieten Frauenhäuser. In Berlin gibt es insgesamt sechs davon. Die Adressen sind geheim, damit die Täter - in der Regel der Partner - die Frauen nicht so leicht aufspüren können. Im Frauenhaus Bora beispielsweise gibt es Platz für 24 Frauen und ihre Kinder. »70 Prozent der Frauen haben einen Migrationshintergrund«, sagt die Leiterin der Einrichtung, Katharina Nachtmann. Viele der Frauen haben Fluchterfahrungen.

Haben die Betroffenen einen Platz in einem der Häuser bekommen, beginnt die Vermittlung. Mit der Hilfe von Pädagog*innen und Sozialarbeiter*innen sollen sie Schritt für Schritt den Weg in ein unabhängiges Leben finden - möglichst weit weg vom Täter. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Umzug in eine eigene Wohnung. Doch hier wird es knifflig: »Es gibt bei weitem nicht genug Wohnungen für die Frauen«, berichtet Selina Höfner, Mitarbeiterin der Wohnungsvermittlung Hestia e.V.bei einem Besuch von Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) am Donnerstag in der Vermittlungsstelle.

Über das sogenannte geschützte Marktsegment erhalten die Vermittler*innen Wohnungsangebote für die Frauen von städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Diese seien jedoch häufig nicht brauchbar, so Höfner. »Wir können keine Frau mit zwei oder drei kleinen Kindern in eine Wohnung stecken, die sie erst noch komplett renovieren muss.«

Auf Fotos mit Wohnungsangeboten wird deutlich, was Höfner meint. In den vorgeschlagenen Wohnungen fehlen teilweise Waschbecken im Badezimmer, die Wände sind unverputzt oder der Fußbodenbelag fehlt. Die geschätzten Kosten für die Renovierungen lägen bei mehreren Tausend Euro - die das Jobcenter oft nicht übernimmt. Denn, so lautet dann nach den Erfahrungen der Vermittlungsstelle die Erklärung, die Frauen müssten ja nicht in eine renovierungsbedürftige Wohnung ziehen.

Besonders für Mütter mit mehr als zwei Kindern ist es schwer, eine bedarfsgerechte Bleibe zu finden. Denn größere Wohnung mit mehreren Zimmern sind Mangelware. »Hier liegt der absolute Brennpunkt«, sagt Höfner. »Wir sind quasi gezwungen, diese Frauen wieder in prekäre Verhältnisse zu bringen.« Denn ewig können die Frauen nicht im Frauenhaus bleiben. »Der Senat sieht vor, dass wir die Frauen innerhalb von drei Monaten hier durchschleusen«, sagt Katharina Nachtmann von Bora. Das reiche jedoch nicht aus, um die Frauen in sicherere Verhältnisse zu bringen. »Wir brauchen mehr Zeit«, so Nachtmann.

Durchschnittlich verbringen Betroffene 123 Tage im Frauenhaus. Daher die Richtlinie von drei Monaten. Dieser Mittelwert schließt aber auch Frauen mit ein, die das Haus schon nach einigen Tagen wieder verlassen. Laut Angaben des Vereins Hestia lebten einige von ihnen mehr als 400 Tage im Frauenhaus. Manche sprechen kein Wort Deutsch, es fehlen notwendige Papiere, geeigneter Wohnraum ist nicht vorhanden oder es gibt keinen Kitaplatz für das Kind. Nachtmann betont außerdem, dass viele der Frauen und Kinder durch die Gewalt- und teilweise auch Fluchterfahrungen traumatisiert sind.

Leider kommt es oft dazu, dass die Frauen selbst nach einiger Zeit die Vermittlung abbrechen und die Einrichtung freiwillig verlassen. Meist kehren sie dann zurück in ihre alten Strukturen - und damit zum Täter. Die Mitarbeiterinnen des Hestia e.V. berichten, dass viele dieser Frauen Gewissensbisse haben, so lange Zeit einen Platz im Frauenhaus zu belegen. Dauert der Vermittlungsprozess zu lange, verlieren sie die Hoffnung. »Manche Frauen ertragen das nicht«, sagt Höfner.

Hinzu kommt, dass Frauenhäuser noch immer mit einem Stigma verbunden sind. So werden Mütter zum Beispiel bei der Kitaplatzsuche diskriminiert. »Die Kinder in eine Betreuung zu bekommen, ist fast unmöglich«, sagt Höfner. Mütter aus dem Frauenhaus wollen die Kitas nicht. So bleiben die Kinder dann oft nur in der Betreuung der wenigen Pädago*innen im Frauenhaus, bis sie in die Schule gehen. Dadurch ist das Personal dort entsprechend überlastet. Im Frauenhaus Bora kommen auf 30 Kinder gerade einmal drei Pädagog*innen. »Die sind aber auch mal krank oder im Urlaub«, so Nachmann. Sie fordert dringend mehr Personal für die Häuser. »Ich kann nicht 15 traumatisierte Kinder auf die Schultern einer Mitarbeiterin laden«, sagt sie. Aus ihrer Sicht stoßen die Frauenhäuser unter den heutigen Bedingungen an ihre Grenzen. Doch ohne sie stünden Opfer häuslicher Gewalt, selbst wenn sie die Polizei riefen, schlicht auf der Straße. »Zum Frauenhaus gibt es keine Alternative.«

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