Chiffre 1968

Geschichtszeitschrift

  • Rainer Holze
  • Lesedauer: 2 Min.

Schwerpunkt der neuen Ausgabe der »Zeitschrift für historische Studien« ist der »Zauber der Geschichte«. Es geht um die Neue Linke in Westdeutschland. Geboten werden Aufsätze, die auf einer Tagung am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam beruhen, die vom Graduiertenkolleg »Geschichte linker Politik in Deutschland zwischen Sozialdemokratie und Parteienkommunismus« veranstaltet wurde.

David Bebnowski will die Chiffre »1968« hinterfragen. Der Streit um diese in der deutschsprachigen Debatte übertöne nicht nur das Nachleben der Revolte, sondern verdecke auch deren bedeutsame Vorgeschichte, die er spätestens mit der vorsichtigen Entstalinisierung 1956, ausgehend von dem XX. Parteitag der KPdSU, ansetzt. Einschneidende Ereignisse in den Jahren vor der Studentenrevolte würden jedoch kaum zur Kenntnis genommen. Die Neue Linke sei durch die unterschiedlichen Spielarten des Marxismus geprägt worden.

In der Folge beschäftigen sich verschiedene Beiträge mit den konkreten Quellen und Wurzeln der Neuen Linken in Westdeutschland und Westberlin. Im Fokus steht die Frage, warum von der Theorie eine solche Faszinationskraft für linke Politik ausging und bis heute ausgeht. Monika Boll, David Bebnowski und Michael Hewener untersuchen die Verankerung der Neuen Linken an den Universitäten. Felix Kollritsch und Anita Falasca befassen sich mit dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Sozialistischem Studentenbund (SDS) und der SPD. Jana König wiederum lotet die Bedeutung der Theorie in Krisenzeiten für die (west-)deutschen Linke aus, wobei sie sich auf den sogenannten Deutschen Herbst 1977 und die deutsche »Wiedervereinigung« 1989/1990 konzentriert. In beiden Fällen sei eine Neubestimmung linker Politik notwendig gewesen, sowohl in der Theorie wie auch in der politischen Praxis, was je nach subjektiv-emotionaler Erfahrung erfolgte. Im letzten Schwerpunktbeitrag betont Robert Wolf, die RAF sei kein notwendiges Ergebnis linker Theoriebildung gewesen, im Gegenteil, die Baader-Meinhof-Gruppe und deren Nachfolger hätten sich vielmehr von einem theoriefeindlichen Voluntarismus leiten lassen.

Lesenswert sind auch die Aufsätze über wilde Streiks und staatliche Arbeitsplanung in den USA 1917/18, den antibolschewistischen Arbeiteraufstand in Izevsk (Ischewsk) im Herbst 1918 im Ural sowie die Kontakte der Sozialistischen Jugend Deutschland (SDJ - Die Falken) in den 1950er und 1960er Jahren nach Jugoslawien und deren Nachwirkungen noch heute. Aktuell interessant ist ein Bericht über einen Workshop über Arbeiter*innenbewegung sowie ungleiche Entwicklung und Migration auf dem europäischen Kontinent.

Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien. 2018/II, 239 S., br., 14 €, zu beziehen über Metropol-Verlag, Ansbacher Str. 70, 10777 Berlin oder veitl@metropol-verlag.de

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