Die Zwei-Klassen-Gesellschaft

Für die 2. Bundesliga sind die Traditionsvereine Hamburger SV und 1. FC Köln Segen und Fluch zugleich

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Vorwort im neuen Stadionmagazin des Hamburger SV liest sich wie eine einzige Lobpreisung: »Dauerkarten-Boom, zigtausende neue Mitglieder, ausverkaufte Heim- und Auswärtsspiele, die 1000er Marke bei den offiziellen HSV-Fanklubs geknackt - die letzten Wochen waren teilweise verrückt.« Wohl wahr. Schließlich hat der Traditionsverein seinen Dinosaurier-Status in der Fußball-Bundesliga nach 55 Jahren eingebüßt, doch vom Aussterben ist dieser Klub bestimmt nicht bedroht. Im Gegenteil: Die Macher der Stadionzeitung konstatieren nicht zu Unrecht: »So sehr der Abstieg auch wehgetan hat, so viel Kraft hat er auch freigesetzt.«

Der HSV will zwar aus der 2. Bundesliga ganz schnell wieder raus, aber er will auch die Genesung beschleunigen, die Bodenständigkeit zurückgewinnen, die Identifikation stärken, um nach einer Ehrenrunde mit Demut in die Erstklassigkeit zurückzukehren. So die Wunschvorstellung. Der Europapokalsieger von 1983 betritt Neuland in dieser Spielklasse und wird sich - noch mehr als der Absteiger 1. FC Köln - zwischen den Extremen bewegen. Lieben oder hassen. »Wir haben schon in der ersten Liga polarisiert, jetzt wird es noch extremer«, glaubt Leistungsträger Aaron Hunt, der genau wie Lewis Holtby erhebliche Gehaltsabstriche in Kauf genommen hat, um den Betriebsunfall umgehend zu reparieren. Im Volkspark ist die Resignation längst in Euphorie umgeschlagen, wozu die von Trainer Christian Titz im Frühjahr erzeugte Aufbruchsstimmung seinen Teil beigetragen hat.

Das Auftaktspiel gegen Holstein Kiel am heutigen Freitagabend ist ausverkauft. Und die Kontingente für HSV-Fans sowohl für die erste Auswärtspartie am zweiten Spieltag beim SV Sandhausen als auch am vierten Spieltag bei Dynamo Dresden waren binnen weniger Stunden vergriffen. Der andere Publikumsmagnet - und die zweite Übermacht - wird der 1. FC Köln sein, der vergangenen Sonntag zum Saisoneröffnungsfest mal wieder 50 000 Menschen mobilisierte. Auch für Sportdirektor Armin Veh geht es nur darum, die Sehnsüchte einer leidensfähigen Anhängerschaft mit dem sofortigen Wiederaufstieg zu bedienen.

Dann würden die 17 Heimspiele in Müngersdorf fröhliche Freudenfeste - da sollte nicht mal der ungeliebte Montagstermin am 13. August zum Auftakt gegen Union Berlin stören. Und weil mit dem 1. FC Magdeburg noch ein weiterer Publikumsmagnet (und Europapokalsieger) aufgestiegen ist, kündigt sich ein neuer Zuschauerrekord an. Die Bestmarke von 21 700 Besuchern pro Spiel aus der Saison 2016/2017 könnte fallen.

Die zweite Liga wird in der kommenden Spielzeit so viel Geld umsetzen wie nie zuvor und vielleicht sogar die 700-Millionen-Marke überschreiten. 2016/2017 hatte der Umsatz bereits bei 635 Millionen gelegen. Die solidarische Verzahnung mit dem Oberhaus bei der Verteilung der Medienerlöse macht es möglich, dass die 2. Bundesliga weitaus mehr erwirtschaftet als die ersten Ligen in den Niederlanden, Schweden oder Österreich. »Wir haben die stärkste zweite Liga in Europa«, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert bei der Vorstellung des Ligareports. Das Unterhaus ist kein Armenhaus mehr.

Umsatztreiber werden naturgemäß die beiden ehemaligen Schwergewichte aus der 1. Bundesliga. Trotz des Abspeckens können Hamburg und Köln einen Lizenzspieleretat von rund 30 Millionen Euro stemmen und WM-Fahrer wie den japanischen Auswahlspieler Gotoku Sakai oder den deutschen Nationalspieler Jonas Hector halten. Selbst Akteure wie Torwart Timo Horn haben ihre Treue bekundet, wobei der Kölner weiß: »Der Aufstieg ist unsere einzige Option.«

So sehr die Strahlkraft dieser beiden Traditionsvereine hilft, so könnte sich deren Schlagkraft als Bumerang erweisen, wenn früh an der Tabellenspitze Langeweile herrscht - und es für den Rest nur noch darum geht, sich um den Relegationsplatz zu streiten. Mittlerweile bildet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft heraus, die das gesunde Maß sprengt. So kassieren Köln (23,95 Millionen Euro) und Hamburg (20,71) nur unwesentlich weniger aus dem Fernsehgeldtopf als die Erstliga-Aufsteiger 1. FC Nürnberg (28,39) und Fortuna Düsseldorf (24,71). Wie sehr sie sich damit von der Konkurrenz abheben, zeigt dieser Vergleich: Gestandene Zweitligisten wie der 1. FC Heidenheim (10,21) oder der FC St. Pauli (11,48) sind ungefähr bei der Hälfte angesiedelt.

»Hamburg und Köln kommen um die Bürde des Aufstiegsfavoriten nicht herum«, meint Robin Dutt, Trainer des VfL Bochum. Die jeweiligen Etats des Hamburger SV und des 1. FC Köln seien mehr als doppelt so hoch wie der des Klubs auf Platz drei, rechnet er vor. Klar, dass Kollege Titz eine etwas differenziertere Sichtweise pflegt. »Wir bekommen gemeinsam mit Köln die Favoritenrolle zugesprochen, das ist klar. Damit müssen wir umgehen, denn es wird bedeuten, dass unangenehme Spiele auf uns zukommen. Tiefstehende Gegner, enge Stadien, laute Kulissen, Pokalspiel-Charakter.«

Das mag stimmen, aber der HSV-Trainer befehligt 23 Spieler mit der Erfahrung von 1515 Bundesligaspielen - so viel wie kein anderer. Köln hat bei der Neustrukturierung des Kaders dank einiger Verkäufe gut zwölf Millionen Euro ausgeben können: fast die Hälfte der bisherigen Transferausgaben der 2. Liga (25 Millionen).

Das Beispiel des beinahe von der dritten Liga durchmarschierten Emporkömmlings Holstein Kiel offenbart die Auswirkungen der Unwucht. Trainer Markus Anfang ließ sich nach Köln locken und brachte gleich seinen Abwehrchef Rafael Czichos mit. Manager Ralf Becker lenkt inzwischen die Geschäfte in Hamburg. Nicht mal der Bundesliga-Aufstieg in den Relegationsspielen gegen VfL Wolfsburg hätte diesen Aderlass auf der Kommandobrücke der »Störche« verhindert. Was nur einen Schluss zulässt: Für die zweite Liga ist der hinzugewonnene Glamourfaktor aus Hamburg und Köln Fluch und Segen zugleich.

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