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  • Kultur
  • Frankreich gegen den Rest der Welt

»L’Algérie, c’est la France!«

Arte zeigt, dass auch klassisches Fernsehen noch gute Serien produzieren kann

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 3 Min.

Algier, 1960: In den Hitze erfüllten Straßen der algerischen Hauptstadt versammeln sich die Bewohner zum Gebet. In Mitten der Gebetsteppiche fällt auch ein junger Franzose auf die Knie, bekreuzigt sich und betet. Gerade hat er seine erste Tötung im Auftrag des französischen Geheimdienstes begangen, damit muss man irgendwie umgehen können.

André Merlaux hat es nicht leicht, sich als Agent zu behaupten. Seine neuen Kollegen können ihn aufgrund seiner Kommunionsanzüge kaum ernst nehmen, die eitlen Vorgesetzten beäugen ihn kritisch, weil sein im Krieg verstorbener Vater ein Kollaborateur gewesen sein soll, und die Unarten der französischen Bürokratie machen ihm zu schaffen. Der Verlust der Kolonien und die Bedrohungslage Dritter Weltkrieg sind für die Beamten kaum so schlimm, wie ein nicht in doppelter Ausführung eingereichter, nicht gestempelter Spesenantrag. Zu allem Überfluss verliebt er sich ausgerechnet in die Tochter des Geheimdienstchefs Maurice Mercaillon, genannt Le Colonel.

»Frankreich gegen den Rest der Welt« (Au service de la France) ist eine gelungene Satire auf die französische Politik, Kultur und Gesellschaft zur Zeit des Gaullismus. Merlaux’ Kollegen Roger Moulinier, zuständig für Afrika und Jacky Jacquard, Algerien, sind Dandys und Lebemänner, die mehr mit Spiel- und Wettsucht, einem ordentlichen Kater oder Unterhaltsforderungen aus den Kolonien kämpfen müssen als mit echten Problemen. Der Dritte im Bunde ist der groteske Jean-René Calot. Er beaufsichtigt die Tätigkeiten im Ostblock und kann auf der paranoiden Suche nach einem Maulwurf nicht vollkommen ausschließen, ob er nicht selbst der Doppelagent ist. Gemeinsam treten sie auch schon mal in den Streik, weil eine attraktive Spesenzulage aus der Zeit des Vichy-Regimes auf dem Spiel steht oder erfinden das Konzept der Flugzeugentführung, weil sie gleichzeitig einen algerischen Terroristen dingfest machen und ein Spiel der französischen Rugby-Nationalmannschaft in Wales sehen wollen.

Alltagsrassismus und Sexismus sind in Form von kolonialem Revisionismus (»L’Algérie, c’est la France!« - Algerien gehört zu Frankreich, eine ständige Catchphrase) und einem absolut rückständigen Bild von Frauen als Liebchen und Sekretärinnen allgegenwärtig. Aber man romantisiert das Vergangene nicht, sondern nimmt die negativen Aspekte der Zeit geschickt aufs Korn und bietet zahlreiche Möglichkeiten zu einer umfangreichen Reflexion. Das romantische Bild, das viele von den wilden 60ern haben, wird so aufgelöst.

Im Laufe der ersten Staffel begleiten die Zuschauer André bei seiner Ausbildung zum Topspion französischem Typus. Aufgedeckt wird dabei auch das dunkle Geheimnis von Le Colonel. Dieser hatte selbst mit den Deutschen kollaboriert und nach dem Krieg seine Taten Andrés Vater in die Schuhe geschoben und Karriere gemacht. Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel führt im Finale schließlich zu Andrés scheinbarem Tod. Nun muss die Gerechtigkeit in der zweiten Staffel wiederhergestellt werden.

Mord, Totschlag und bizarre Action sind in der Arte-Produktion eine seltene Besonderheit. In Zeiten in denen James Bond und Co. auf den Kinoleinwänden immer brachialer und explosiver vorgehen müssen, um die Leute noch von der Couch zu locken ist die bissige Serie aus Frankreich eine willkommene Abwechslung im Agentengenre.

Vor allem beweist Arte mit der Serie, dass auch klassische Fernsehsender noch in der Lage sind, unterhaltsame, qualitativ hochwertige Serien von Interesse zu produzieren. In Zeiten der Dominanz und Allgegenwärtigkeit von Amazon und Netflix Originals eine Besonderheit.

Frankreich gegen den Rest der Welt, Arte; beide Staffeln derzeit auf Netflix streambar

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